Alles auf Neustart
Drei Jahre ist es nun her, das wir uns mit Maxine auf einen Ausflug in ihre Heimatstadt Arcadia Bay begeben haben, um das Schicksal der Menschen und der Stadt gehörig auf den Kopf zu stellen. Letztes Jahr wurde dann mit „Life is Strange – Before the Storm“ eine Spielerweiterung geschaffen, die sich mit den Begebenheiten vor dem Hauptspiel beschäftigt und uns Einblicke in Chloes und Rachels Freundschaft gewährte. Doch wie die gamescom zeigt, ebbt der Durst nach dem Indie-Hit nicht ab, sondern gewinnt immer mehr und mehr an Beliebtheit. Weshalb wir nun mitLife is Strange 2 einen hoffentlich würdigen Nachfolger serviert bekommen.
Life is Strange 2 beginnt wie sein Vorgänger mit dem ganz gewöhnlichen Teenager-Alltag. Freitagabend und die nächste Party steht an, auf der auch unser Schwarm auftauchen soll. Nach kurzer Bedenkzeit entschließen wir uns deshalb natürlich hinzugehen. Dafür brauchen wir aber noch Snacks, Alkohol und – falls da eventuell was mit der süßen Jenn laufen sollte und wir ein verantwortungsvoller Jugendlicher sind – Kondome. Und so suchen wir den Kram erst mal zusammen und verstauen ihn in unserem Rucksack. Währenddessen scribbeln wir Zeichnungen in unser Notizbuch und erörtern mit BFF Layla über Skype unser Outfit. Nebenbei nervt uns unser kleiner Bruder und unser besorgter Vater hofft, dass wir an dem Abend nichts Dummes anstellen – so weit so normal. Trotz, dass wir als mexikanischer Junge in den USA aufwachsen, haben wir ein stabiles Umfeld aus Freunden und Familie, die sich um uns kümmern und zu uns halten. Wenn da nicht der rassistische Nachbarsjunge wäre … Dieser gerät nämlich kurze Zeit später mit unserem Bruder Daniel aneinander, als wir dazwischen gehen kippt die Situation. Die Ereignisse überschlagen sich, ein Polizist greift ein, es fliegen Schüsse, hinter uns kommt es zur Explosion. Und plötzlich ist die Party nicht mehr unsere größte Sorge, sondern wie wir und unser kleiner Bruder, jetzt ganz auf uns allein gestellt, irgendwie überleben.
Treue Linie
Wie schon im ersten Teil bietet Life is Strange 2 keine raffinierten Gameplay-Mechaniken, sondern besticht durch die tiefgründige Geschichte, sowie der Auswahl an Entscheidungen, die man im Spiel trifft. Diese haben wieder – mal mehr mal weniger – Auswirkungen auf den Spielverlauf. Auch die Aufteilung in Episoden wurde vom ersten Ableger übernommen. Dies wirkt leider immer wie ein zweischneidiges Schwert unter Gamern. Einerseits können wir jetzt schon die erste Episode spielen und Entwickler DONTNOD bekommt für die weitere Produktion eine Finanzspritze, andererseits weiß bisher keiner wann die nächste Episode erscheinen soll, womit die abrupte Story-Unterbrechung schon frustrierend sein kann. Weiterhin weiß man in der fernen Zukunft ja auch gar nicht mehr immer alles, was denn nun in der vorherigen Episode passiert ist und wird gezwungen, diese nochmals zu spielen. Und dass eben bei jeder neuen Episode. Gamer mit niederer Frusttoleranz und/ oder schlechtem Gedächtnis sind deshalb eventuell besser beraten abzuwarten und sich die Story dann im Komplettpaket zu kaufen.
Emotionaler Roadtrip
Anders als Maxine in Life is Strange 1 hat Sean, der Protagonist des Spieles, leider keine Fähigkeiten, um die Zeit zurückzudrehen. Das würden wir zwar immer wieder gerne machen, dadurch würde aber die Story ziemlich zerstört werden. Irgendetwas Seltsames, Übermächtiges scheint aber dennoch vonstatten zu gehen und wir werden auch schon bald herausfinden, was. Bevor wir jedoch soweit in der Geschichte voranschreiten, müssen wir uns erst einmal tagelang durch die raue Wildnis schlagen. Unseren Bruder, der sich dabei nicht an die Ereignisse erinnern kann, halten wir bei Laune, indem wir ihm erzählen, wir seien auf einer Campingtour. Leider haben wir dafür aber irgendwie zu wenig Geld und zu wenig zu essen dabei, geschweige denn ein Zelt. Wir können lediglich auf unser Inventar, welches wir für die Party gepackt haben, zurückgreifen. Waren wir unserem Vater gegenüber ehrlich und hilfreich, so steht uns immerhin ein bisschen mehr Geld zur Verfügung. Trotzdem müssen wir sparen und uns so gut wie möglich an dem Bedienen, was die Natur so hergibt. Dazu gehört beispielsweise das Essen von wilden Beeren, sowie ein Campingfeuer zu entfachen, was uns in der Nacht einigermaßen warm hält. An einer Tankstelle können wir immerhin unsere Wasserflasche auffüllen, sowie diversen Proviant kaufen. Die Möglichkeit, bestimmte Gegenstände einzustecken, steht uns aber ebenfalls zur Verfügung. Dabei sollten wir allerdings immer beachten, wie wir uns unserem Bruder gegenüber verhalten, da die Bindung zu ihm durch unser Verhalten stets beeinflusst wird. Klauen wir beispielsweise am Kiosk Dinge, so wird unser Bruder uns als Vorbild nehmen und es uns in gewissen Situationen eventuell gleich tun. Egal wie wir uns entscheiden, einfach wird die lange Reise quer durch die USA so oder so nicht und reißt uns immer wieder emotional mit. Meist in die Tiefe. Den Entwicklern gelingt es durch das ausgezeichnete Charakterdesign noch besser als im Vorgänger, eine emotionale Bindung zu den Charakteren herzustellen.
Auch die Politik kommt nicht zu kurz
DANTNOT hat es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, ein sehr aktuelles, politisches Thema aufzugreifen. Da Sean und Daniel mexikanische Wurzeln haben, geraten sie immer wieder ins Visier von amerikanischen Rassisten, werden vorschnell verurteilt, beleidigt oder nicht ernst genommen. Mehrmals ist die Rede ganz konkret vom Mauerbau. Auch die Polizei reagiert überaus aggressiv auf Mexikaner – vielleicht schon etwas zu überzogen inszeniert – aber bestimmt nicht an den Haaren herbeigezogen. Man bekommt ein sehr gutes Bild davon, wie hart das Leben als Immigrant sein kann.
Zur emotionalen Stimmung trägt wieder die unglaublich atmosphärische Musik bei. Neben jugendlichen Pop-Beats werden wir je nach Situation ebenfalls mit düsteren, die Stimmung drückenden Symphonien oder actiongeladenen Kompositionen konfrontiert. Die Synchronsprecher wirken allesamt authentisch und hauchen dem ruhigen Vorort von Seattle das nötige Leben ein. Auf eine deutsche Lokalisation wurde allerdings wieder verzichtet, was jedoch verschmerzbar ist. Als Trost stehen uns eine Reihe von verschiedenen Untertitel-Sprachen zur Verfügung.
Die Optik gewinnt aber leider wiedermal keinen Blumenstrauß. Zwar hat sich die Grafik seit dem ersten Teil gebessert und man muss immer bedenken, dass es sich hierbei um einen – inzwischen mehr oder weniger – Indie-Titel handelt, im direkten Vergleich mit aktuellen Spielen zieht Life is Strange 2 allerdings trotzdem den kürzeren. Vor allem die Gesichter wirken etwas matt und farblos, hinzukommen einige allzu kantige Gegenstände und Lebewesen, die den Spieler kurzzeitig aus der sonst wunderbaren Immersion herauszerren.
Fazit:
Life is Strange 2 vermag schon mit der ersten Episode ordentlich Eindruck zu hinterlassen. Mit starken Charakteren, einer emotionalen Geschichte zweier Brüder und stimmungsvollen Sounds hat mich das Spiel völlig in den Bann gezogen. Womit sich Gamer abfinden müssen, ist die Tatsache, dass der Titel eben nicht viele Spiel-Mechaniken beinhaltet, sondern sich voll und ganz auf das Erkunden und Treffen von Entscheidungen fokussiert. Meiner Meinung nach ist dies jedoch vollkommen gerechtfertigt und Fans von Life is Strange kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten. Bleibt nur zu hoffen, dass die folgenden Episoden, die schon ungeduldig erwartet werden, mit der ersten mitzuhalten vermögen und es nicht wieder zu solch einem Absturz wie beim Vorgänger kommt.