Unser aller Traum
Fußball. Fragt 10 Männer auf der Straße nach der Lieblingssportart und ihr werdet fünfmal Fußball hören. Jeweils einmal Handball, Basketball oder Tennis. Eine Sportart aus der zweiten Reihe wie (Eis)Hockey, Badminton oder Tischtennis. Und ein Hipster wird erklären, der Ballsport habe seit den Mesoamerikanischen Ballspielen, die im Animationsfilm „Der Weg nach El Dorado“ natürlich völlig falsch porträtiert wurden, rapide abgebaut und sei nur noch Opium für das Volk.
Der Punkt ist: Für den gemeinen Deutschen ist Fußball wahnsinnig wichtig. Für mich übrigens auch. Mann träumt davon im Stadion während des WM-Finals zu sitzen. Dann kommt der Coach und sagt: „Junge, wir haben zu viele Verletzte – du musst es jetzt richten!“. Dann schießt man das entscheidende Tor und wird vom eigenen Land auf Händen in die Katakomben getragen, wo die Mannschaftskollegen zum Schluss kommen, dass man doch jetzt mit allen Spielerfrauen duschen gehen sollte, während sie selber kurz in Richtung Sparkasse auslaufen, um einen Dauerauftrag an das eigene Konto einzurichten, sodass man nie mehr im Leben arbeiten gehen muss.
Dieser Traum wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Aber zumindest können Videospiele als Substitut gelten und jedem von uns ein Hauch Fußballprofi in den Alltag blasen. Unter anderem deswegen verkauft sich FIFA hierzulande wie geschnitten Brot. Und wir sind Deutsche; wir kaufen viel Brot.
König Fußball
Ein Fußballspiel zu programmieren ist keine einfache Aufgabe. Zum einen, wie oben in aller Ernsthaftigkeit dargestellt, ist die Nachfrage nach dem neuen FIFA groß und die Erwartungen dementsprechend. Zum anderen liegt das aber auch in der Natur des Fußballspiels: In keiner anderen Sportart dieser Popularität ist der Einfluss des Zufalls so groß, schon aus dem Grund da ein rundes Ding von vielen verschiedenen Leuten mit dem Fuß herumgeprügelt (und nicht etwa geworfen) wird: In manchen Spielen fallen gar keine Tore, andere gehen 4:4 aus. Mal gewinnt ein Viertligist gegen einen Erstligisten und weiß gar nicht genau wieso. 2015 schießt ein gewisser Carsten Kammlott für Rot-Weiß Erfurt in der 3. Liga das Tor des Jahres mit einem irrsinnigen Skorpion-Kick und sticht damit Stürmergrößen wie Robert Lewandowski aus. Diese Unberechenbarkeit macht Fußball aus. Deswegen lieben so viele diesen Sport.
Was bedeutet das für jemanden, der ein Fußballspiel programmieren möchte? Wenn ich Destiny 2 entwickle und 20 Meter vom Ziel entfernt abdrücke, dann will ich, dass der Schuss zu 100% dahingeht, wo ich ihn hinhaben will. Fertig.
Wenn ich aber FIFA programmiere, dann muss ich alles vermeiden, was sich in irgendeiner Form formelhaft anfühlt. Geht ein Schuss aus 20 Metern immer ins Ziel, dann habe ich ein Problem und mein Spiel ist kaputt. Jeder wird nur noch versuchen genau an diese Stelle zu kommen und schon spiele ich kein Fußballspiel mehr, sondern gegen die Entwickler. Eigentlich möchte ich also Chaos programmieren.
Auf der anderen Seite ist Fußball auch nicht nur chaotisch. Bestimmte Spielzüge führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg als andere, wenn ich mit Messi allein auf den Torwart zulaufe, sollten schon 90% der Bälle in den Maschen landen. Und ein geordneter Spielaufbau sollte effektiver sein als die Kirsche ohne Sinn und Verstand nach vorne zu kloppen. In einem Interview mit den Kollegen von SPOX sagte Blindenfußballer Taime Kuttig beispielsweise, dass es ihm in seinem Sport hilft, dass er „als Kind viel FIFA an der Konsole gezockt [hat] und weiß, wie Spielzüge aufgebaut werden und wie diese ungefähr aussehen.“. Wow. Chaos programmieren reicht also nicht – was FIFA-Spieler wollen ist geordnetes Chaos. Und nicht nur das – es muss sich auch noch jedes Jahr ein bisschen anders anfühlen und trotzdem funktionieren. Gleichzeitig will jeder FIFA-Spieler eines mehr als alles andere: Gewinnen. Er wird also alles dafür tun, den Einfluss des Zufalls zu minimieren und die eine „sichere Methode“ zu finden, um Tore zu erzielen.
Balancing in FIFA 18
Jeder Eingriff in die Spielmechanik will also sorgsam überlegt sein und das muss für einen Entwickler ähnlich kompliziert sein, wie Eingriffe in ein Ökosystem. Eine kleine Veränderung, kann die gesamte Balance kippen.
Vor FIFA 18 war ein Kritikpunkt, dass Fernschüsse zu selten den Weg ins Tor finden. Wenn ich mit Toni Kroos aus 20 Metern abdrücke, dann will ich, dass der Ball dahingeht, wo ich ihn hinhaben will, nicht wahr? Außerdem waren Flanken zu harmlos und kaum ein probates Mittel, um zuverlässig Tore zu schießen. Unmittelbar nach Release waren beide Kritikpunkte vom Tisch. Angeschnittene Schüsse von außerhalb des Strafraums waren auf einmal sehr effektiv und bestimmte Flanken kaum zu verteidigen. Das Resultat: Die FIFA 18 Community erzielte in ihren Spielen regelmäßig Tennis-Ergebnisse wie ein 6:4, 5:2 oder zugegeben exotische 9:9.
Die ersten Patches kamen schnell und stärkten die Defensive ungemein, die nun automatisch viel besser verschiebt und Schüsse abblockt und zudem den Torhüter verbessert. Also alles gut jetzt? Nein – exemplarisch für das Feedback vieler Spieler äußerte sich eSportler Benedikt Saltzer dahingehend, dass man FIFA 18 doch nicht deswegen spiele, damit die KI das Verteidigen übernimmt und dass das neue Balancing die Gefahr bringe, dass man auch als überlegener Spieler im Verhältnis zu häufig knapp verliert.
Der Punkt ist: Die richtige Balance aus Ordnung und Chaos muss FIFA 18 für sich noch finden. Und solange das so ist, kann man sich die alljährlichen Textbausteine wie „KI-Mitspieler laufen in diesem Jahr noch besser in den freien Raum“ oder „die Kollisionsabfrage zweier Spiele im Kampf um den Ball wurde noch weiter verbessert und die neuen Animationen machen das Geschehen noch realistischer!“ oder „FIFA 18 ist näher an echtem Fußball dran als alle seine Vorgänger!“ eigentlich sparen. Nicht, dass diese nicht zutreffen würden. Gerade die erste beiden Punkte fielen mir nach den ersten Stunden FIFA 18 sogar ganz besonders auf. Aber, noch operiert EA Sports mit FIFA 18 am offenen Herzen und das Feintuning scheint mir noch nicht abgeschlossen.
Aber es ist doch so: FIFA 18 funktioniert, wie schon der Vorgänger, wunderbar auf dem Platz. Wenn man sich nicht gerade in der Riege der Pro-Gamer aufhält, ist die Balance aus Chaos und Ordnung gut eingehalten und das Spiel fühlt sich nach echtem Fußball an – je nach Patch mehr oder weniger. Und wenn ich mich so mit Kollegen über die Dribblings unterhalte, die mir in FIFA 18 schwerer fallen als im Vorgänger und dieser mich ungläubig anguckt und das Gegenteil erzählt, ist in der Diskussion um FIFA 18, wie beim echten Fußball, ein großartiger Schuss Subjektivität drin. Warum also nicht über Dinge reden, die vielleicht ein bisschen objektiver festgestellt werden können?
Was ist sonst neu?
Hätte ich als Programmierer von FIFA 18 die Wahl, ob ich im Entwicklungsprozess am Gameplay oder „neben dem Platz“ involviert sein möchte, würde ich einen Bogen um das Ökosystem Fußball machen und dort anpacken, wo nicht der Ball rollt. Das haben sich anscheinend auch so einige bei EA Sports gedacht und hier eine Reihe von Fakten geschaffen. Auf Dinge wie die Renaissance eines super arcadigen Hallenmodus oder Straßenfußball warte ich weiterhin, aber der Teufel steckt ja im Detail.
80 Fußballarenen sind im Spiel implementiert und glaubhafter mit Leben gefüllt als im Vorgänger; die Stadionatmosphäre kommt dank verbesserter Beleuchtung und Soundkulisse schön rüber. An den Spielermodellen und individualisierten Animationen der Superstars – wie natürlich Werbeträger C. Ronaldo – wurde weiter gefeilt. Gepaart mit dem objektiv(!) langsameren Bewegungsablauf der Spieler und der Partien im Allgemeinen, würde ich unter dem Strich also sagen: Ja, FIFA 18 ist optisch realistischer als die Vorgänger.
Spielertransfers werden nicht mehr im Textfenster, sondern vermehrt in kleinen Animationen durchgeführt, wo wir über Beteiligung am Weiterverkauf oder feste Ablösen diskutieren. Wie so oft bei solchen Features begrüßt man die Neuerung zu Beginn, bevor sich die Sequenzen vermehrt wiederholen und man sich denkt, dass Textfenster doch irgendwie nicht so verkehrt sind. Dass EA andersrum aber auch Abkürzungen einbauen kann, zeigen sie bei den Schnellwechseln im Spiel. Bei Spielunterbrechungen werden uns nun Wechsel von der KI vorgeschlagen, die wir mit einem Knopfdruck durchführen lassen können. Alternativ können wir diese Wechsel vor dem Spiel selbst „programmieren“ und auf diese Weise, ohne Unterbrechung im Spielfluss und Aufrufen von Menüs, im Spiel in die Tat umsetzen. Klasse Idee!
Abnehmer für Transfers gibt es weiß Gott genug, denn FIFA 18 glänzt als Lizenzbomber und fährt über 700 Teams in mehr als 30 Ligen auf. Zum ersten Mal dabei übrigens die 3. Liga in Deutschland, was mich ganz besonders freut. Nach Xbox-Exklusivität im letzten Jahr auf PS4 und PC mit dabei sind jetzt auch die Ikonen des Fußballs wie Pelé oder Maradona im FUT-Modus. Nachteil dieses Modus ist für mich weiterhin, dass Spieler, die ein Haufen echtes Geld in die Kartenpacks investieren natürlich einen wesentlich geileren Kader haben, als jemand, der unzählige Stunden investiert, um sich die Booster mit Ingame-Währung leisten zu können.
FIFA 18: The Journey continues
Seit FIFA 17 mit von der Partie und heutzutage aus Sportspielen nicht mehr wegzudenken, ist der Storymodus der bei FIFA 18 wieder auf den Namen The Journey hört. Im vergangenen Jahr begleitetet wir Alex Hunter auf seinem Weg vom Jugendfußballer zu einem Kicker bei einem Wunschclub in der Premier League. Wenn ihr diesem Pfad in FIFA 17 gefolgt seid, könnt ihr euren persönlichen Alex Hunter auslesen lassen und beim gleichen Club in FIFA 18 weitermachen.
Euch erwartet im Großen und Ganzen eine typische Geschichte, die hervorragend in einen klassischen Sportfilm passt. Persönliche Rückschläge, familiäre Enthüllungen, Freundschaften auf und neben dem Platz. FIFA 18 erzählt eine gefällige Geschichte, die jetzt nicht Memento in der Top-Liste der Mindfucks ablösen wird, aber euch doch gut und seicht unterhält. Und sogar mit einem spielerischen Paukenschlag beginnt! Denn wenn wir The Journey starten, sehen wir uns auf einem brasilianischen Bolzplatz in einem 3 vs. 3 ein paar Straßenfußballern gegenüber und tricksen nach Lust und Laune los!
Später dürfen wir sogar kurzzeitig andere Charaktere übernehmen. Wenn wir die Geschichte mal in 3 Akte aufteilen wollen, stimmt in den ersten beiden Akten die Balance aus Story und Spielelementen sehr gut. Lediglich im letzten Akt kann es manchen Spielern ein bisschen dröge werden, da die Zwischensequenzen abnehmen und wir einer konstanten Routine aus Spiel – Training – Spiel folgen. Das ist jedoch besser, als etwa im „Longshot“ Storymodus von Madden 18, wo wir fast nur Zwischensequenzen und Minispiele bedienen und kaum selber ans Leder dürfen.
Natürlich ist The Journey dabei nicht immer realistisch. Wenn wir in den vergangenen 2 Saisons auf den Schwierigkeitsgrad Profi runterstellen und pro Spiel 2-5 Scorerpunkte sammeln, kommt eine Degradierung in die zweite Mannschaft schon irgendwo überraschend. In Zeiten, in denen in der echten Fußballwelt für Ousmane Dembélé, einem Fußballspieler mit vergleichbarem Alter und Skills wie Alex Hunter, über 100 Millionen gezahlt werden, mutet es schon komisch an, wenn wir am Ende der Transferperiode keine Angebote bekommen und in die USA wechseln müssen. Aber ganz ehrlich, das ist schon okay. Ansonsten würde man ja nach einem Jahr bereits bei Barca spielen und die sportliche Dramaturgie wäre im zweiten Jahr am Ende. Und dass wir vom Co-Trainer gefragt werden, ob er lieber Griezmann oder Dele Alli kaufen sollte, verbuchen wir auch als positiven Punkt.
Fazit:
Die FIFA-Reihe hat sich qualitativ auf sehr hohem Niveau eingependelt. Und pendelt nun innerhalb eines Teils noch weiter. FIFA 18 hat sich seit seinem Launch im Gameplay ziemlich gewandelt. Meinen anfänglichen Text, der die Effektivität von Steilpässen, das verbesserte Spiel ohne Ball und die gnadenlos effektiven Distanzschüsse hervorhob, konnte ich einmotten, da FIFA 18 sich mittlerweile wesentlich weniger arcadig und behäbiger spielt – was ich aber nicht als qualitativ schlechter empfinde. Nur eben anders. Auf dem Feld versucht FIFA 18 noch seine Identität zu finden und bringt damit von Seiten der Engine, den tollen Animationen und der verbesserten KI alles mit um dort erfolgreich zu werden – wir haben hier bestimmt noch nicht den letzten Patch gesehen!
Abseits des Platzes macht man jedes Jahr wieder kleine Verbesserungen. In diesem Jahr wurde aus einem Lizenzbiest ein Lizenzmonster und brachte die 3. Liga mit ins Spiel. Außerdem freue ich mich über kleine, intelligente Features wie das Schnellwechseln von Spielern im Match ohne das Menü aufrufen zu müssen. Als Rollenspielfan habe ich außerdem meinen Spaß an der Fortführung des Storymodus The Journey, der uns zwar einiges an Trainingsmissionen abreißen lässt, aber dadurch ein sehr gutes Tutorial für Neueinsteiger abgibt. Große Neuerungen wie eine Revolution des Karriere- oder FUT-Modus bleiben jedoch aus – der in The Journey schmerzvoll angedeutete Street-Modus oder der gute alte Hallenkick wäre doch mal etwas!