Wer sich völlig ohne Vorwissen auf Steins;Gate 0 stürzt, wird vermutlich das Gefühl haben, das längste Intro seit Menschengedenken mit anzusehen. Wer den Titel in der Annahme startet, ein Grafik-Adventure zu spielen, wird hier vermutlich seinen ersten Kontakt zum Gerne der Visual Novels knüpfen.
Und so viel vorweg: Die einzige Interaktion, die der Spieler ausüben kann, ist die Entscheidung, ob er in bestimmten Schlüsselmomenten an sein Smartphone geht, oder nicht. Wenn ihr also keine Lust auf viel, viel Lesen haben, wäre hier ein guter Moment, um mit dem Lesen aufzuhören.
Nur Bahnhof?
Ihr seid noch da? Hervorragend! Dann sei an dieser Stelle die zweite Hürde erwähnt, die der Leser wird überspringen müssen: Steins;Gate 0 ist nicht etwa wie Witcher 3 ein Titel, der sich auch ohne Kenntnis des Vorgängers spielen lässt. Zero setzt an einem alternativen Ende von Steins;Gate an und spinnt den Handlungsfaden weiter. Szenario, Story und Charaktere werden nur beiläufig erklärt und als bekannt vorausgesetzt. Könnt ihr also mit der folgenden Synopsis des Plots nichts anfangen, rate ich von Steins;Gate Zero eher ab:
Rintaro Okabe befindet sich in der Beta-Weltlinie. Einer Realität, in der er es aufgegeben hat Kurisu zu retten, und den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Sein Alter Ego Kyouma Hououin und seine Zeit als verrückter Wissenschaftler sind vorbei. Stattdessen versucht er sich als normaler Student und mit angstregulierender Medikation durchzuschlagen. Für Suzuha, der Besucherin aus der Zukunft, natürlich ein ärgerlicher Zustand.
An der Universität trifft Rintaro zufällig auf die Forscherin Maho Hiyaio (die zwar 25 ist, aber wie 9 aussieht. Ach Japan…). Zufällig arbeitet sie mit Professor Leskinen daran eine künstliche Intelligenz aus den Erinnerungen von Kurisu zu bauen! Natürlich geraten wir durch diese Entdeckung wiederum in einen Ereignisstrudel, der mit dem Untergang der Welt durch den 3. Weltkrieg in Verbindung steht…
Düster bis depressiv
Als Neuling im Steins;Gate Universum ist man am Anfang äußerst überfordert und ich bin mir nicht sicher, ob es ohne Vorerfahrungen einen Sinn ergibt, sich an Zero zu versuchen. Falls ihr der Sache eine Chance geben wollt, solltet ihr euch mit traurigen Geschichten wohlfühlen. Rintaro wird als gebrochener Mann portraitiert, der sein Ziel aufgeben musste, weil er es nicht mehr ertragen konnte, die Person, der er mehr als alles andere retten wollte, immer wieder sterben zu sehen. Dementsprechend ist auch Grundton von Steins;Gate 0 düster mit Hang zur Depression. Und selbst die wenigen Szenen der Lockerheit werden alsbald von Momenten der Verzweiflung wieder in die Realität katapultiert. Die Weltlinie wechselt und plötzlich wandelt ihr durch die zerstörte Endzeit, in der Leichen den Weg pflastern und die Städte in Schutt und Asche liegen. Beinahe möchte man sich von der Ausweglosigkeit der Situation anstecken lassen und Rintaros Verzweiflung uneingeschränkt teilen.
Zero macht einen guten Job dabei, den bekannten Charakteren neue Facetten hinzuzufügen und gleichzeitig neuen Mitgliedern des Ensembles genug Raum zur Entwicklung zu geben. So präsentiert sich Mayuri etwa deutlich wehrhafter als im Vorgänger und wächst über die Rolle des ständigen Opfers heraus. Daru muss sich einer klassischen Herausforderung alternativer Zeitlinien stellen und seine künftige Ehefrau dazu bringen, dass sie sich für ihn interessiert und übernimmt gleichzeitig mehr väterliche Verantwortung. Maho, Professor Leskinen und Kagari sind gute Ergänzungen für die Riege der Charaktere. Lediglich Kagari könnte man den Vorwurf machen, dass sie ein wenig „draufgepfropft“ wirkt.
Atmosphärisch, aber..
Dass ihr kein Gameplay erwartet dürft, liegt in der Natur des Genres und ist deswegen für Kenner selbstredend kein Beinbruch. Auch hier wieder eine kleine Warnung an Neulinge: Bevor ihr den Abspann gesehen habt, vergehen je nach Lesetempo und wie viel Zusatzlektüre ihr euch gebt, gerne an die 20 Stunden. Da es insgesamt 6 verschiedene Enden gibt, wird sich die Spieldauer bis zum gewünschten Abschluss der mindestens verdoppeln. Viel Holz für das passivste aller Spielgenres.
Audiovisuell darf man sich von Steins;Gate 0 keine Wunderdinge erwarten. Der Musik ist auch für das Genre nur Durchschnitt. Einige Höhen, wie das Titel- oder Endingtheme, stechen heraus. Doch die meisten Stücke werden euch nicht sonderlich in Erinnerung bleiben und „sind eben da“. Ich persönlich fand beispielsweise die Tonspur der Visual Novel-Anteile eines Lost Odyssey nachhaltig beeindruckender. Ähnliches gilt auch für die Zeichnungen. Die Charaktersprites sind bis auf die Mundbewegungen und gelegentliche Posen Veränderungen unbeweglich. Die Farbgebung ist matt, fast trist. Fairerweise ist das angesichts des Szenarios nur passend und trägt zur Atmosphäre von Steins;Gate Zero bei. Insgesamt haben die Zeichnungen im Vergleich zu früheren Spielen im Steins;Gate einen Schritt nach vorne gemacht – was besonders auffällt, wenn einige alte Eventbilder verwendet werden und im Vergleich hervorstechen.
Fazit:
Steins;Gate 0 ist ein echtes Nischen-Spiel. Um das Optimum aus dem Spiel herauszuholen müsst ihr 1.) japanophil sein, 2.) euch im Steins;Gate Universum auskennen, am besten sogar den Vorgänger gespielt haben und 3.) ein großes Herz für Visual Novels haben.
Für Fans des Vorgängers präsentiert sich Zero jedoch als Pflichtkauf. Der Vorgänger war bereits nichts für schwache Nerven. Teil 0 legt hier jedoch nochmal eine Schippe drauf und schickt den Spieler auf einen intensiven, atmosphärischen Trip. Oft genug so düster, dass man aufhören möchte zu spielen – wenn man nicht den Wunsch hätte, in der Handlung voranzukommen.
Sollten die drei oben genannten, qualifizierenden Punkte auf euch jedoch nicht zutreffen, würde ich euch raten zumindest erst einmal den Vorgänger zu spielen, bevor ihr euch an Zero wagt. Am besten jedoch erst einmal Probe zu spielen – Visual Novels im Allgemeinen und Steins;Gate im Besonderen sind eben echt Nische.