Watch Dogs 2 ist endlich erhältlich und hat eine durchaus komfortable Ausgangssituation: Das Szenario in dem der gläserne Bürger, Datenschutz und –klau und Überwachung thematisiert wird, passt perfekt in den Zeitgeist und die gesellschaftliche Diskussion. Andere Spiele haben da in der Entwicklung mit mehr Ungewissheit zu kämpfen. Dieses Jahr hat YouTube uns beispielsweise gelehrt: Erster Weltkrieg gut, Weltall und Raumschiffe böse. Die Marke Watch Dogs fällt also auf durchaus fruchtbaren Boden und sollte offene Türen einrennen.
Ein Lob für das Szenario
Dennoch hatte der Vorgänger Watch Dogs bei der Community keinen leichten Stand, tat sich schwer dem kreierten Hype gerecht zu werden und stellte sich durch das Grafik-Downgrade selbst ein Bein in der öffentlichen Wahrnehmung. Protagonist und einsamer Wolf Aiden Pearce stieß mit seiner konsequenten Ernsthaftigkeit auf wenig Gegenliebe und seine Heimatstadt Chicago – nun, ist eben Chicago. So verdiente sich ein durchaus gutes Spiel einen Ruf, der der mehr als ordentlichen Qualität des Titels eigentlich nicht gerecht wurde.
Watch Dogs 2 will hier einiges anders machen. Statt dem sauertöpfischen Aiden präsentiert Ubisoft uns Marcus Holloway als Protagonisten. Ein stets gut gelaunter, potentiell sympathischerer Prototyp-Hipster, der immer Musik im Ohr und einen (mehr oder weniger) flotten Spruch auf den Lippen hat. Dieser operiert auch nicht allein, sondern ist Mitglied des Hackerkollektivs Deadsec, das an das Anonymous der echten Welt erinnern soll. Das regnerische Chicago wurde zudem gegen das sonnige San Francisco eingetauscht und mit zahlreichen Anspielungen auf Unternehmen wie Google und Facebook konnte man das Szenario viel lebendiger gestalten als noch im Vorgänger. Bis hierhin also: Beide Daumen nach oben. Watch Dogs 2 wirkt auf Anhieb deutlich luftiger und man bekommt sofort Lust durch die Gegend zu streifen. Ubisoft hat das Sequel in eine gute Richtung gelenkt…
Dezent wie ein Presslufthammer
… und eifrig übersteuert. Kleine Tangente: Wir schreiben das Jahr 2001. Moritz Bleibtreu sagt im Film Lammbock Worte, die der Popkultur noch lange in Erinnerung bleiben sollten: „Es darf nicht so aggressiv cool sein, die Coolness muss mehr so im Subtext mitschwingen“. 15 Jahre später erscheint Watch Dogs 2, zeigt Herrn Bleibtreu eine lange Nase und stellt seine hippe Coolness mit einer Aggressivität zur Schau, die bisher jungen Vätern bei der Präsentation ihres Nachwuchses vorbehalten war.
Die Charakterisierung von Dedsecs Mitgliedern wurde vermutlich mit einem Holzhammer in die Tastatur geklöppelt und lässt kein Klischee aus, selbst wenn wir die zweifelhafte Darstellung von Josh und seinem Asperger Syndrom außen vor lassen. Wem sich bei dem Versuch, des ansonsten genialen, Life is Strange Jugendsprache zu imitieren, die Eingeweide bereits zusammenzogen, dessen Innereien dürften hier auf Rosinengröße zusammenschrumpeln. Heidewitzka, ist das manchmal schwer auszuhalten. Gewollt cool ist immer ein bisschen schwierig – man erinnere sich an die Dialoge aus Skate 2.
Bei der Zeichnung der Charaktere möchte ich nicht zu kritisch sein. Letzten Endes ist es wohl Geschmackssache. Ich persönlich konnte mit Marcus, der ein cooles Jo-Jo als Nahkampfwaffe benutzt, keinen Meter gehen kann ohne Mukke zu hören und seiner übertriebenen Lässigkeit nichts anfangen. Genauso wenig wie mit seinen Mitstreitern, wie zum Beispiel mit Wrench. Der dauerhaft eine Maske trägt und über dessen Augenpartie Emojis, passend zu seinem emotionalen Status flattern. Überflüssig zu erwähnen, dass alle Beteiligten mit popkulturellem gerade um sich werfen. Die können teilweise richtig gut sein – beziehungsweise meinen Geschmack treffen – und schießen ähnlich häufig etwas am Ziel vorbei. An diesem Punkt hat man jedoch Kreativität und Eifer bewiesen, wenn auch keine 100-prozentige Trefferquote.
Die etwas objektiveren Probleme
Wie eben erwähnt: Ich kann mit den Protagonisten, ihrem Lifestyle und Slang nicht viel anfangen. Sie wirken eher wie Karikaturen einer Subkultur auf mich. Diese kleine Antipathie ließe sich mit dem „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“-Argument jedoch abmildern.
Unabhängig vom Typ der Charaktere, sind diese jedoch auch nicht authentisch: Das Kollektiv lernt Marcus kennen, alle sind ab Tag 1 best friends forever und viel mehr Charakterisierung passiert nicht. Man kann sich im Hauptquartier zwar ein paar Hintergrundinformationen zu den einzelnen Mitstreitern anhören, damit gearbeitet wird jedoch nicht. So bleiben die Charaktere eben eindimensional und man ist kaum investiert.
Die grobe Story von Watch Dogs 2 ist, dass das Überwachungsprogramm ctOS der Firma Blume die persönlichen Daten der Bürger missbraucht und die Gesellschaft droht, in Richtung Dystopie zu kippen. In der Menschen verhaftet werden, weil es aufgrund von entdeckten Korrelationen in der persönlichen Datenlage wahrscheinlich ist, dass sie demnächst ein Verbrechen begehen und auch ansonsten allerlei Schindluder getrieben wird. Ein durchaus interessanter Grundgedanke. Auch der größte Gegenspieler in Person des Bosses von Blume hat Potential (auch wenn er ein Yoga-Hipster mit Vollbart und Man-Bun ist).
Leider empfand ich es so, dass das Watch Dogs 2 nicht genau weiß welchen Ton es anschlagen soll. Beziehungsweise untergräbt es das gute Szenario durch die aufgesetzte Coolness ohne es schaffen zur Satire zu werden – so wie das beispielsweise Saints Row tut. Die Antagonisten werden – wie man im Wresting sagen würde – verjobbt: Müssen auf Teufel komm raus lustig und cool sein und können so ihr eigenes Potential nicht erreichen.
Gleiches gilt für Dedsec selbst. Vordergründig kämpfen sie für Bürgerrecht und die gute Sache. Man hat jedoch eher das Gefühl, dass es ihnen mehr um Selbstinszenierung geht. Sie reden über coole Aktionen, die steigende Anzahl von Followern und machen Selfies. Gleichzeitig nehmen sie es selber mit dem Datenschutz von Zivilisten alles andere als genau. Und auch wenn dieses Problem viele Open-World Spiele haben: Die Tatsache, dass wir wie selbstverständlich Sicherheitskräfte und Polizisten meucheln oder erschießen, wird überhaupt nicht thematisiert und passt überhaupt nicht in das Konzept. Es ist immer toll dicke Maschinengewehre im Spiel zu haben. Aber die Mittel, zu denen wir in den Missionen greifen (können), passt nicht zu der nicht unmittelbar lebensbedrohlichen Ausgangslage. Irgendwie steuert man eine Bande von Rotzlöffeln, die gerne Aufmerksamkeit genießen und denen man gerne dysfunktionale, archaische Erziehungsmethoden angedeihen lassen würde.
San Francisco als Spielwiese
Ihr seht, ich werde schon wieder etwas zu leidenschaftlich. Dabei soll hier nicht der Eindruck eines Verrisses von Watch Dogs 2 entstehen. Leider habe ich den Titel nur aus den oben genannten Gründen nicht richtig genießen können. Ich schreibe „leider“ weil sich hinter den tonalen Problemen ein durchaus gutes Open-World Spiel verbirgt.
Schon die Bay Area mit San Francisco und seinem Umland weiß durchaus zu gefallen. Das Feeling der Umgebung ist toll eingefangen und man fühlt sich wunderbar leicht und beschwingt die Umgebung zu erkunden. Ubisoft verzichtete auf einen 1:1 Nachbau der Stadt und baute das urbane Vorbild mit eigener Kreativität nach. Alcatraz, Fischerman’s Wharf oder der Pier 39 werdet ihr dennoch wiedererkennen und applaudieren. Gerade im Vergleich zum Chicago des Aiden Pearce ist hier ein deutlicher Fortschritt zu spüren. Und im Silicon Valley haben die Designer ganze Arbeit geleistet. Besonders gut gefallen haben die Passanten. Diese interagieren auch unabhängig vom Spieler miteinander: Kriegen sich in die Haare, klauen einander Autos. Einmal wurde ich sogar Zeuge wie ein Hund angefahren wurde, was zu einem Verkehrschaos und zwischenmenschlichen Tragödien führte!
Toll außerdem: Ubisoft lockerte das übliche Template etwas auf. Zwar gibt es immer noch auch außerhalb der Haupt- und Nebenmissionen einiges zu tun in San Francisco. Die Karte sieht nun jedoch nicht mehr ganz so „ubisoftig“ aus und ist nicht mehr so überladen. In Far Cry Primal hatte ich das Gefühl, keinen Speer werfen zu können, ohne versehentlich ein entführtes Stammesmitglied zu befreien. Watch Dogs 2 bietet an, fordert aber nicht so penetrant wie andere Spiele. Trotzdem können wir Rennen fahren, reichlich Nebenquests aus unserer Dedsec-App abarbeiten oder im Ko-op mit anderen Spielern feindliche, menschliche Hacker jagen oder PvE-Missionen angehen.
Die Missionen: Hui und Pfui
Den Hauptmissionen und wie sie sich spielen stehe ich ambivalent gegenüber. Auf der einen Seite gilt das gleiche wie für das Spiel im Allgemeinen: Die Ausgangssituationen sind oft sehr spannend und gut designed. Mal dringen wir in das Hauptquartier von Goog.. äh Nudle bzw, Nudle Maps ein und sehen dort die liebevoll gestaltete Arbeitsumgebung des Megakonzerns mitsamt cooler Dekoration und den berühmt gewordenen Rutschen. Bonuspunkte für Mut bekommt Ubisoft zudem indem Scientology und die Praktiken der selbsternannten Kirche adressiert werden. Mitsamt Tom Cruise Double. Später dringen wir sogar in ein Umerziehungslager der Gemeinschaft ein und enttarnen sie als Scharlatane. Schmunzeln mussten wir auch als wir bei Ubisoft (!) eindringen und eigenhändig einen Trailer leaken, der erst für die nächste E3 vorgesehen war – hier sind wir mal sehr gespannt, ob Ubisoft zur tatsächlichen E3 noch einmal etwas aus diesem Gag macht!
Auf der anderen Seite spielen sich die Missionen dann zu oft zu ähnlich. In den allermeisten Fällen müssen wir eine Basis infiltrieren, irgendwo einen Zugangscode beschaffen und schließlich das Sicherheitssystem knacken. Aus den großen Möglichkeiten, die die Welt bietet wurde hier zu wenig genutzt, sodass man früher oder später an den Punkt kommt, an dem Marcus eine befestigte Stellung in irgendeiner Form knacken muss.
Gerade im ersten Drittel des Spiels ist der rote Faden zwischen diesen Missionen auch nur sehr dünn gewoben. Häufig kann man nicht so recht nachvollziehen, warum der Hauptcharakter nun tut was er tut. Manchmal tauchen auch Nebencharaktere auf, die wir noch nie gesehen haben und auch nicht erklärt werden, sodass man das Gefühl etwas verpasst zu haben. Vor dem angesprochenen Umerziehungscamp der Sekte wartet beispielsweise eine transsexuelle Stadträtin mit der Marcus äußerst vertraut redet. Der Spieler hat jedoch keinen Schimmer wer das sein könnte – beinahe so als hätte man die Missionsstruktur a posteriori ein wenig durcheinander gewürfelt.
Watch Dogs 2: Spaß macht es!
Doch auch wenn sich die Missionen in ihrem Gerüst zu gleichförmig spielen: Spaß machen sie! In dem 3D-Drucker unserer Basis lassen sich allerlei Waffen und Gadgets fabrizieren, die für Abwechslung sorgen.
Der RC Jumper etwa ist ein ferngesteuertes Auto welches man durch Lüftungsschächte schicken und kleine Hacking-Jobs ausführen lassen kann. Mit dem Quadrocopter dagegen machen wir offene Areale unsicher: Perfekt zum Auskundschaften und Markieren von Gegner geeignet. Beide Gadgets lassen sich weiter aufrüsten und lockern den Missions-Alltag ein gutes Stück auf. Die KI reagiert insgesamt jedoch ziemlich dämlich auf Infiltrationsversuche durch unsere mechanischen Freunde. Zwar bewerfen sie die beiden kybernetischen Kumpel im Ernstfall auch mit Steinen und schalten sie aus – im Großen und Ganzen lassen sich die Wachen jedoch einfach an der Nase herumführen.
Allerdings passt die Sorglosigkeit der Wachen zum allgemein etwas „arcadigem“ Flair von Watch Dogs 2. Dieses Motiv zieht sich auch durch die Fahrphysik der Boliden San Franciscos. Diese sind sehr einfach und direkt zu steuern und lassen das realistischere Fahrverhalten etwa eines GTAs vermissen. In Watch Dogs 2 gleitet am Verkehr geradezu vorbei auch wenn man eigentlich einen Auffahrunfall hätte haben sollen. Besonders deutlich wird dies beim Motorradfahren. Marcus ist beileibe nicht so schnell aus dem Sattel zu werfen wie seine Genre-Kollegen. Da muss man schon mit Karacho in eine Ziegelwand fahren, wenn man ihn fliegen sehen will.
Einen Strauß Gehacktes bitte!
Die Trumpfkarte unseres Arsenals ist jedoch keine Waffe, Drohne oder Fahrzeug, sondern…das Smartphone! Wie schon im Vorgänger ist das Handy das Mittel der Wahl, um ans Ziel zu gelangen. Poller fahren auf Knopfdruck aus dem Boden und halten feindliche Vehikel auf, unterirdische Gasleitungen werden zur Explosion gebracht, Ampelsysteme umgepolt und so weiter. Bei der Infiltration können wir durch unsere Hackingfähigkeiten ein Ziel als Opfer einer Gang-Attacke brandmarken, Granaten zur Explosion bringen und Sicherheitssysteme vorübergehend lahmlegen.
Versuchen wir geschlossene Systeme für uns zu öffnen, tun wir dies im altbekannten Minispiel. Ein Signal muss vom Ursprung zu einem Ziel geleitet werden. Dafür müssen Weichen richtig gestellt und Abzweigungen korrekt konfiguriert werden. Die kleinen Puzzles sind kurzweilig und unterhaltsam, haben aber natürlich mit „echtem Hacken“ rein gar nichts zu tun. Ebenfalls nicht realistisch waren die Hackabschnitte damals in Enter the Matrix. Auch wenn das Spiel sonst ein ziemlicher Flop war – warum nicht mal wieder eine Spielmechanik in dieser Richtung?
Marcus‘ Mittel sind vielfältig, zielführend und spaßig umgesetzt, entfalten sich jedoch erst, wenn sie im Skillbaum freigeschaltet werden. Dann kommt das Gamepad aber schon manchmal an seine Grenzen. Spätestens wenn man die Fähigkeit besitzt andere Autos rudimentär fernzusteuern, kann es in der Hitze der Verfolgungsjagd leicht mal passieren, dass man versehentlich einen Zivilisten nach links abbiegen lässt, statt einen Streifenwagen auszuschalten – aber wer beklagt sich schon ernsthaft über zu viele Möglichkeiten.
Fazit:
Ich fand schon den ersten Teil von Watch Dogs besser als er von Teilen der Öffentlichkeit behandelt wurde. Deswegen freute ich mich auf den zweiten Teil auch wenn ich den Protagonisten im Vorfeld schon skeptisch gegenüber stand.
In diesem Punkt war meine Skepsis auch angebracht. Das Hacker-Kollektiv Dedsec ist in meinen Augen fürchterlich portraitiert und lädt zum Überspringen der Zwischensequenzen ein. Charaktere und Story sind beileibe nicht die Stärke von Watch Dogs 2. Zu viele Klischees und zu wenig echter Witz wurden hier verbaut um den ambitionierten Cocktail aus Mr. Robot und Saint‘s Row schmackhaft zu servieren.
Stark präsentiert sich die Spielwelt von Watch Dogs 2- Ein lebendiges, atmosphärisches San Francisco, in dem man als Spieler stundenlang gerne herumfährt und das nicht zu sehr der üblichen Ubisoft-Formel folgt. Untermalt von einem tollen Soundtrack gibt es hier wirklich wenig zu Meckern. Zudem implementierte man sehr kreative Ideen für Missionen und hat die Schauplätze mit viel Liebe zum Detail und (teilweise) guten Anspielungen auf die Popkultur.
Die Missionen selber präsentieren sich im Ablauf, losgelöst von ihren Szenarien dann leider oft zu gleichförmig. Die verschiedenen Skills von Marcus und seine hervorragenden Parcours-Fähigkeiten wetzen diese Scharte jedoch weitgehend aus. Insgesamt präsentiert sic h Watch Dogs 2 als würdiger Nachfolger eines bereits guten Vorgängers, verschenkt jedoch zu viel des zweifellos vorhandenen Potentials, um in die oberste Riege der Open-World Titel vorzustoßen.
[pricemesh]