Dämon im Kopf? Kannibalistische Veranlagung? Ihr Feueratem setzt Blut in Brand? Dann sind Sie hier genau richtig!
Im Rollenspiel „Divinity: Original Sin II“ sind Charaktere dieser Art keine Seltenheit. Trotzt schauriger Hintergrundgeschichte geht es dank der liebenswert durchgeknallten Persönlichkeiten sehr unterhaltsam in „Fort Joy“ zu, einen Gefängnis, aus dem es schnellstmöglich zu entkommen gilt.
Viele Wege führen nach Rom
Als Spieler habt ihr die Möglichkeit wahlweise in die Rolle von vorgefertigten Spielfiguren und deren Geschichte zu schlüpfen oder aber ihr erstellt einen eigenen Charakter, bei dem ihr weder geschlechts- noch rassengebunden seid, dafür aber eure Vorgeschichte etwas dezenter ausfällt. Unter den vorgefertigten Charakteren befinden sich unter anderem ein roter Echsenprinz, der von seinem Volk verstoßen wurde, eine Elfin, die sich gerne Mal den ein oder anderen Happen Menschenfleisch einwirft oder eine Menschenfrau namens Lohse, in deren Kopf sich ein Dämon zu manifestieren versucht. Die Wahl des Charakters sollte wohlüberlegt getroffen werden, denn je nachdem mit wem ihr das Abenteuer bestreitet reagiert eure Umwelt anders auf euch und ihr habt unterschiedliche Stärken und Schwächen anderen NPCs und Feinden gegenüber.
Egal, für wen euch entscheidet, euch steht im Anschluss frei, welche Charakterklasse ihr wählt und wie ihr euch am liebsten durch die offene, üppig angelegte Welt prügelt. Von Magier über Nekromant, Hexe und Mönch bis hin zu verschiedensten Nahkämpfern wie Assassinen und Klerikern sind alle Klassen vertreten, die sich ein Rollenspielfan nur wünschen kann.
Was alle spielbaren Charaktere gemeinsam haben, ist die Fähigkeit „Quellmagie“ zu benutzen; starke Zauber, die euch in den Augen des gewöhnlichen Volkes zu einer Bedrohung machen und der anscheinend einzige Grund, von bösen Geistern, sogenannten „Voidwoken“ befallen zu werden. Deshalb werdet ihr auf einer Insel namens „Fort Joy“ zusammengepfercht, wo ihr euer jämmerliches Dasein bis an euer Lebensende fristen sollt. Anstelle wie im ersten Teil, die Quellmagier zu jagen, erleben wir diesmal also die andere Seite der Geschichte, und die trumpft mit durchweg einzigartigen Individuen auf. Nicht verwunderlich also, dass ihr schon bald Pläne schmiedet, euch aus eurem Gefängnis zu befreien. Durch spezielle Halsbänder, die ihr selbst nicht abnehmen könnt, wurde eure Quellmagie jedoch versiegelt, was den ganzen Plan etwas schwieriger gestaltet. Wie gut, dass das Halsband nicht eure gesamte Zauberkraft aufsaugt und ihr somit trotzdem noch das ein oder andere Ass im Ärmel habt. Spielt ihr im Multiplayermodus, so könnt ihr mit bis zu vier Verbündeten das Abenteuer bestreiten, spielt ihr im Singleplayermodus so werden die drei übrigen Plätze durch NPCs aufgefüllt.
In bester Oldschool-RPG-Manier streift ihr durch offene Ländereien und sprecht mit unzähligen Charakteren, für die ihr verschiedene Sachen erledigen sollt. Dabei gibt es keine genauen „Quests“, die ihr abhaken könnt, sondern die gestellte Aufgabe kann auf verschiedene Wege gelöst werden – oder auch gar nicht. Zentraler Punkt bei der Bewältigung der Aufgaben sind dabei Gespräche, die um einiges mehr Zeit als die Kämpfe in Anspruch nehmen.
Gleich und Gleich gesellt sich gern
Ebenfalls hilfreich bei der Flucht sind die Charaktere, die sich euch anschließen. Mit einem gemeinsamen Ziel geht meist alles besser – oder aber halt auch nicht. Nachdem ihr eure Weggefährten in Fort Joy rekrutiert habt, könnt ihr Gespräche mit NPCs oftmals um 180° wenden, was sowohl positive, aber auch negative Auswirkungen haben kann.
Euer Team steht euch nämlich nicht nur im Kampf zur Seite, sondern interagiert als eigenständige Persönlichkeit mit euren Gesprächspartnern anders als ihr selbst. So ist zum Beispiel Sebille bei den meisten Menschen ziemlich unbeliebt, da sie als Elfe Gesundheit wiederherstellen kann, indem sie Körperteile von Menschen vertilgt, weshalb ihr Menschen lieber mit Lohse oder Ifan ansprechen solltet. Andererseits ist die Fähigkeit Menschenteile zu verspeisen äußerst hilfreich, da Sebille nach dem Verzehren oftmals wichtige Einblicke in die Erinnerung des Gegessenen erhält, während die von Dämonen besessene Lohse von Kindern und Sehern zuweilen als Bedrohung wahrgenommen wird. Läuft ein Gespräch mal nicht wie geplant, dann kann daraus schon mal ein Kampf entstehen, bei dem die NPCs dran glauben müssen. Habt ihr die jeweilige Person mit dem „richtigen“ Charakter angesprochen und zudem gekonnt geantwortet, so lassen sich Blutbäder eher vermeiden. Meistens führen aber mehrere Wege ans Ziel und ihr verpasst keinen elementar wichtigen Storyzweig, wenn nicht jedes Gespräch wie geplant verläuft, und müsst auch keine Angst davor haben, ewig in Fort Joy festzustecken weil ihr in diesem Moment nicht mit dem Jungen ins Boot gestiegen seid, sondern das Verlies noch weiter erkundet habt. Der Titel lässt euch so viel Freiheit wie nur irgendwie möglich, euren eigenen Weg zu finden.
Oftmals erhaltet ihr in Gesprächen auch die Möglichkeit, mit erlernten Fähigkeiten im Dialog zu antworten. Diese können zum Beispiel „Intelligenz“ oder „Stärke“ sein. Je nachdem wie ihr eure Attributspunkte zuvor verteilt habt, sind die Chancen größer euren gegenüber mit einem rationalen oder einschüchternden Argument zu überzeugen. Dies macht großen Spaß, erfordert aber auch ein wenig taktisches Verständnis. Es ist zum Beispiel keinesfalls sinnvoll, alle Charaktere auf dieselben Attribute zu trimmen. Die Fähigkeiten sollten je nach Individuum und genetischer Disposition sinnvoll verteilt werden, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Gleiches gilt bei den „Zivilen Fähigkeiten“. Es ist durchaus ausreichend, wenn eine Person sich mit Tieren unterhalten kann, und zumindest einer der Gefährten dafür Schlösser knackt.
Taktik ist das halbe Leben
Auch beim Kämpfen steht euer taktisches Können über allen. Weniger vertreten, aber deshalb nicht weniger glanzvoll trumpft Divinity: Original Sin 2 mit einem, für diese Art von Rollenspiel ungewöhnlichem, rundenbasiertem Strategiekampfsystem auf. Dies gestaltet sich jedoch als durchweg positive, wenn auch ungewohnte, Abwechslung. Alles geordnet und der Reihe nach geht es hier vonstatten, wobei ihr genügend Zeit habt, euren nächsten Angriff zu planen.
Interessant wird das ganze durch viele kleine Extras, wie etwa dem Rüstungssystem. Die Gegner haben nicht nur eine Lebensanzeige, sondern auch noch zwei verschiedene Rüstungswerte, einen physischen, sowie einen magischen. Der magische Rüstungswert nimmt ab, wenn ihr mit Magie angreift, der physische sogleich bei physischen Treffern. Erst wenn ein Rüstungswert auf null sinkt, wird die Lebensenergie abgezogen. Es lohnt also nicht, einem Gegner beide Rüstungswerte abzuziehen, sondern taktisch sinnvoller ihn nur mit Magie zu bearbeiten, während ihr eure physischen Angriffe auf einen anderen Widersacher niederprasseln lasst. So werden Aktionspunkte und Angriffskraft optimal ausgenutzt. Es sei denn, man ist Inhaber von speziellen Fähigkeiten, die den Rüstungswert ignorieren … Auch sehr vielfältig wird im Spiel mit dem Einsatz von Blut umgegangen. Blut kann entzündet werden, um dem Gegner Verbrennungen zuzufügen, unter Strom gesetzt werden, um ihn zu verlangsamen, oder aber auch zur Heilung genutzt werden. Damit man aber erst einmal eine ausreichende Blutlache vor sich hat, muss der Gegner zunächst verwundet werden, oder man lässt einfach selber Blut vom Himmel regnen … Möglichkeiten über Möglichkeiten. Ihr solltet eure Fähigkeiten sehr genau begutachten, bevor ihr euch in den nächsten Kampf stürzt, dann werdet ihr lange Spaß an Divinity:Original Sin 2 haben.
Soundtechnisch sowie grafisch ist das Spiel passabel gelungen, ein paar bockigen Kamerawinkeln kann dank möglicher 360° Drehung gut entgegengewirkt werden. Außerdem könnt ihr aufnehmbare Gegenstände einblenden lassen, falls ihr euch mal nicht ganz sicher seid, was ihr in eurem Sichtfeld alles einsammeln könnt. Im Regelfall lässt sich aber alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist und kann mit so ziemlich allen Charakteren gegen ungefähr gleichwertige Gegenstände oder Geld gehandelt werden. Einzig und allein bei rot markierten Gegenständen ist Vorsicht geboten, da diese von anderen Einwohnern gestohlen werden, solltet ihr sie einsammeln. Das erfreut natürlich nicht jeden …
Fazit:
Trotz, dass sich in der Alpha Version noch ein Paar Bugs eingeschlichen haben und einige Stunden Einarbeitungszeit in den Titel von Nöten sind, hat „Divinity: Original Sin 2“ schon jetzt das Potenzial ganz groß rauszukommen. Eine riesige Welt, mit einer noch größeren Auswahl an Gesprächen und vielfältigster Charakterentwicklung in nur jeder erdenklichen Weise, sowie die mysteriöse, düster angehauchte Story machen Lust auf mehr. Weder optisch noch soundtechnisch weist der Titel irgendwelche Schwächen auf und verspricht die magere Geschichte und das eher oberflächliche Charakterdesign des ersten Teiles gekonnt auszumerzen. Es darf mit großer Freude auf den vollen Release in 2017 gewartet oder eben via Early Access vorgespielt werden.