Es ist schon schwierig jedes Jahr ein neues FIFA auf den Markt zu werfen. Das digitale Fußballspiel hat sich seit dem Atari asymptotisch dem echten Vorbild angenähert und nun im Jahre 2016 scheint es nur noch Details zu geben, die man verändern kann, um Fußball auf den Konsolen so realistisch und spaßig wie möglich zu machen. Andere jährlich erscheinenden Franchise, wie beispielsweise Call of Duty, versuchen den Abnutzungserscheinungen zu begegnen, indem man Parkour-Elemente einstreut oder das Setting ins Weltall verlegt. Ein FIFA in Space würde wohl jedoch auf noch weniger Gegenliebe stoßen als CoD. Also, was tun?
FIFA 17 feat. Alex Hunter
Die Antwort von FIFA 17 ist der Journey-Modus, der das Fußballspiel um eine Rollenspielkomponente bereichern soll. Wir schlüpfen in die Rolle des Alex Hunter, einem 17-jährigen Sturmtalent, das wir in Premier League zum Erfolg führen sollen. Dazu folgen wir seiner persönlichen Geschichte in einer Art interaktivem Film mit kleineren Entscheidungen und größeren Anteilen an tatsächlichem FIFA spielen.
Vor Release war ich noch skeptisch was „The Journey“ betrifft. Von NBA 2K16 und dem Joint Venture mit Spike Lee wache ich manchmal heute noch schweißgebadet auf. Die Geschichte um „Freq“ wirkte so grausig inszeniert und scheiterte in den Zwischensequenzen grandios einen „coolen“ Protagonisten in der NBA zu portraitieren. FIFA 17 macht seine Sache jedoch überraschend gut:
Wir begegnen Alex das erste Mal als er in einem U-11 Turnier dem entscheidenden Elfmeter für seine Mannschaft schießen muss. Nicht ganz 6 Jahre später steuern wir ihn wieder in einem Sichtungslehrgang und hoffen auf eine positive Einschätzung der anwesenden Scouts. Um die Gesandten der Premier League Clubs zu beeindrucken, müssen wir in einem Trainingsspiel und kleineren Drills unter die Top 10 des Jahrgangs kommen. Gelingt uns das, so kann unsere Reise in der spannendsten Liga der Welt beginnen.
Das Skript orientiert sich dabei sehr stark an dem gängigen Prototyp für Sportfilme, sodass Fans des Genres kaum überrascht von den Wendungen in der Karriere und Privatleben sein dürften. Das finden wir jedoch absolut in Ordnung: Auf diese Weise sind Rivalitäten, Freundschaften, Erfolgserlebnisse, Rückschläge und familiäre Unwägbarkeiten in gutem Verhältnis abgemischt. Die Formel funktioniert schließlich und steht FIFA besser zu Gesicht ein tarrantino-esquer Ansatz. Bis auf wenige Ausnahmen wirken Charaktere und Dialoge natürlich, lediglich Emotionsausbrüche kommen recht aufgesetzt daher.
Das Spiel verzichtet darauf, dem Spieler die Möglichkeit der Gestaltung des Protagonisten zu geben. Die richtige Entscheidung, da man dadurch unterm Strich eine bessere Immersion schafft. Alex Hunter sieht wie ein richtiger Mensch und nicht wie eine Wachsfigur aus, die häufig bei einer freien Charaktererschaffung durch den Spieler entsteht. Die Mimik, Gestik und das familiäre Umfeld ist glaubwürdig und auf ihn abgestimmt. Die Kommentatoren Frank Buschmann und Wolf Fuss wissen Geschichten über ihn zu erzählen wie beispielsweise, dass er ein Fußballer dritter Generation ist und das Stadion quittiert überragende Leistungen gerne auch mit „Hunter! Hunter!“-Sprechchören. Alles in allem ist die Präsentation in diesem Story-Modus sehr gut gelungen. Einzig die sich recht schnell wiederholenden Tweets von Fans und Reporterfragen erinnern einen schmerzlich daran, dass man eben doch nur einen Premier League Star spielt, und nicht selbst einer ist.
Rollenspiel-Elemente findet man nicht nur in der Story von Alex Hunter, sondern auch in so etwas wie einem kleinen Skill-Tree und ein wenig Charakterisierungsmöglichkeiten. In Trainingseinheiten und Spielen steigern sich unsere Fähigkeiten wie Passen, Abschluss oder Dribbling und wenn sich unsere Gesamtstärke um 1 erhöht, erhalten wir sogar einen Skill-Point, den wir in Spezialfähigkeiten wie Weiter Einwurf, Spezialbewegungen oder Beidfüßigkeit stecken dürfen.
In Interaktion mit anderen Menschen kann Alex entweder hitzköpfig, cool oder ausgeglichen antworten. Je nachdem wie er sich entscheidet, steigt sein Standing beim Coach oder in seiner Fan-Community. Die Konsequenzen sind – vorausgesetzt man erbringt Leistung auf dem Platz – jedoch marginal. FIFA ist eben kein Mass Effect.
Achtung! Minimale Spoiler voraus, wer keine Lust darauf hat, überspringt den folgenden Absatz!
Hoffentlich kehrt der Story-Modus auch in FIFA 18 zurück. Denn obwohl The Journey FIFA sinnvoll ergänzt und gelungen ist, gibt es immer noch Luft nach oben. So sind unsere Einflussmöglichkeiten auf die Story minimal. Auch wenn uns der Agent im ersten Akt irgendwie schmierig vorkommt, können wir ihn nicht ablehnen. Ebenso wenig wie wir versuchen können, den Kontakt zu unserem besten Freund trotz Star-Trubel aufrecht zu erhalten. Zudem hätten wir uns sinnvolle Richtlinien von unserem virtuellen Coach gewünscht. Wenn wir im Spiel nur Alex steuern (alternativ können wir auch das gesamte Team kontrollieren) wäre es doch klasse, wenn man uns beibringen würde, wie sich ein Stürmer offensiv und defensiv zu verhalten hat. Stattdessen werden wir für unser Kurzpassspiel auch dann gelobt, wenn wir 10 sinnlose Querpässe im Defensiven Mittelfeld dahinröcheln. Und natürlich ist es unrealistisch, dass unser Coach uns nicht mit dem Allerwertesten anschaut, selbst wenn wir in drei aufeinanderfolgenden Matches Hattricks erzielen. Aber das ist alles Meckern auf högschdem Niveau.
Alles im Lot auf dem Planeten Modus
Neben „The Journey“ hat sich bei den Spielmodi nicht allzu viel getan. Die Cash-Cow Ultimate Team blieb im Kern unangetastet, garantiert der Modus EA doch seit geraumer Zeit ein stetiges Income durch Microtransactions. Der beliebte Modus Pro Clubs wird durch FIFA 17 vielleicht noch populärer da man das Level-System umgestellt hat. Erfahrungspunkte gibt es nun nicht mehr durch teils obskure Miniquests wie „Kläre 5 Bälle aus dem Strafraum“ sondern durch die die Spielernote am Ende des Matches, die sich auch durch gutes Positionsspiel in die Höhe treiben lässt. Jeder Online-Modus profitiert enorm davon, dass EA Sports mittlerweile einfach den Dreh raus hat was Online-Performance und ein schnelles Auffinden von Gegnern betrifft. Hier ist man der Konkurrenz aus dem Hause Konami immer noch ein gutes Stück voraus.
In der Manager-Karriere hat sich noch eine kleine Veränderung in Form von Zusatzzielen eingeschlichen. Waren in den Vorgängern nur das nationale und internationale Abschneiden von Bedeutung, hat der Vorstand nun auch Vorstellungen was die Jugendarbeit, die Markenpräsenz und Finanzen betrifft. Praktisch können diese Ziele lauten: „Gib einem Jugendspieler 50% Einsatzzeit“, „Verkaufe 150.000 Trikots“ oder „Spare wöchentlich 45.000 Euro an Gehältern ein“.
Die differenzierteren Vereinsziele sorgen für ein wenig Abwechslung im Manageralltag, sodass man mit kleineren Teams auf dem Transfermarkt erfinderischer werden muss, um beispielsweise Altstars abzugeben und gescoutete Talente einsetzen muss. Andere Ziele haben jedoch kaum einen Impact auf das Verhalten des Spielers – Trikots verkaufen sich beispielsweise am besten, wenn man erfolgreich spielt und das hatte man ja ohnehin vor. Insgesamt sind die Vorstandsziele eine nette Dreingabe, aber da die Möglichkeiten im Management von FIFA 17 sehr begrenzt sind, haben sie nicht das Zeug zum Gamechanger. An dieser Stelle: Schade, dass EA den Fußball Manager eingestampft hat!
Die Generation Frostbite beginnt
Nun zur Frage, die jeden FIFA-Spieler vor Release beschäftigte: Wie gravierend ist der Unterschied zwischen Ignite – und Frostbite-Engine?
Die Antwort: Bemerkenswert gering. Wer das Spiel aus der üblichen Tele-Perspektive spielt, wird kaum einen Unterschied sehen. Die größten Verbesserungen im Vergleich zur Vorgänger-Engine stellen sich in den Innenräumen da. Kabinen, Flugzeuge und Appartements (alle im Journey-Modus zu sehen) sehen sehr gut aus.
Wer sich jedoch einen Grafiksprung auf dem Platz erträumt hatte, wird wohl enttäuscht sein. Ja, es gibt neue Animationen und ja, FIFA 17 fühlt sich, auch aufgrund der höheren physischen Komponente im Spiel (dazu kommen wir später noch) anders an als FIFA 16. Wir hatten uns von der Umstellung jedoch mehr Verbesserungen auch im Detail erträumt.
Premier League Spieler und vor allem die Trainer, sehen sehr gut aus. Egal ob Mourinho, Klopp oder Koeman. Jeder Coach der ersten englischen Liga steht sehr gut modelliert am Spielfeldrand. In anderen Ligen sieht die Sache jedoch ganz anders aus. In der Bundesliga ist Marco Reus (bester Song) als Coverboy von FIFA 17 natürlich gelungen und auch die Bayern-Stars sehen gut aus. Spieler der 1B-Riege wie Julian Weigl oder Gonzalo Castro – immerhin Stammspieler eines Champions League Clubs – sehen jedoch sehr generisch aus. Und Fans von Werder Bremen müssen damit leben, dass selbst Claudio Pizarro seinem Pendant aus der echten Welt nur so okay-ähnlich sieht. Schön hingegen ist die Liebe zum Detail an anderer Stelle. Wenn sich zwei Spieler rivalisierender Mannschaften vor dem Match treffen, begrüßen sie sich herzlicher, wenn sie beispielsweise der gleichen Nationalmannschaft angehören.
Auch die typischen Slapstick-Momente sind vom Engine-Wechsel nicht betroffen und finden sich auch im neuen Teil der Serie wieder. Vor allem im Trainingsmodus werden gestandene Männer gerne von kniehohen Hindernissen niedergestreckt als wären sie vom Donnerkeil des Zeus getroffen worden. Der Engine-Wechsel hat nichts verschlimmert, aber wenn ich nicht wüsste, dass es ihn gab, ich hätte ihn wohl nicht erkannt.
Can’t touch this
Einen Einfluss des neuen Motors unter der Haube erkennt man am ehesten in der Betonung der physischen Komponente des Fußballs. FIFA 16 war das Fußballspiel der Dribbler und Trickser. Den Ball schnell nach vorne trage war ein zuverlässiges Mittel zum Erfolg.
FIFA 17 spielt sich etwas behäbiger. Im Mittelfeld Dreiecke aufbauen ist nun tatsächlich sinnvoll und wenn ein Gegner zu nah kommt, wird der Körper dazwischen gestellt. Das ging zwar auch schon in den Vorgängerteilen, ist nun jedoch um einiges effektiver und kann auch im Lauf eingesetzt werden. Die neue Körperlichkeit tut der Serie gut und ist realistisch. Wer als Kreisklasse-Kicker mal versucht hat einem Oberligisten den Ball abzunehmen, wenn dieser mit seinem Achterdeck zwischen dir und Ball steht, wird verstehen was ich meine: Man kommt einfach nicht an den Ball. In der Praxis ist diese Taktik jedoch etwas zu übermächtig. Besonders die KI versteht sich meisterhaft auf die Kunst des Abschirmens und nutzt sie auch in der Offensive, was mitunter zu unrealistisch anmutenden Dribblings mit vielen Pirouetten führt. Auch online könnte das neue Abschirmen zu Ärgernissen führen, da die verhasste „Ich laufe mit dem Ball zur Eckfahne wenn ich 1-0 führe“-Strategie nun noch effektiver ist. In vielen Situationen kommt man selbst mit Doppeln nicht an den Ball und muss Foul spielen. Dies werden wir in FIFA 18 in dieser Ausprägung wohl nicht mehr sehen.
Das Abschirmen macht aus FIFA jedoch keine misslungene Fußball-Simulation sondern verschiebt das Tempo des Spiels in Richtung Realismus. Die Abwehr agiert unterm Strich besser und wird mit wuseligen Spielern besser fertig, auch wenn spektakuläre Dribblings mit Könnern immer noch möglich sind. Dafür wurden die Steilpässe im Vergleich zu FIFA 16 wieder verstärkt und finden besser ihr Ziel, wodurch FIFA der Falle entschlüpft, zu statisch zu werden. Vor allem hohe Dinger in den Lauf gehen in ihrer Effizienz eher in Richtung FIFA 14 als 16.
(R)Evolution der Standards
Grunderneuert wurden – bis auf den Abstoß – alle Standardsituationen. Der Einwurf erfuhr eine minimale Korrektur. Der Einwerfer kann sich nun nach links und rechts bewegen. Freistöße und Ecken wurden gehörig renoviert, da man sich nun neben der herkömmlichen Methode auch dafür entscheiden kann, die ruhenden Bälle auf einen selbst festzulegenden Punkt im Strafraum zu zirkeln und zuvor einen Abnehmer in Stellung bringen kann. Die größte Überholung erfuhren die Strafstöße. Statt des gewohnten Timing-Minispiels hat man nun volle Kontrolle über den Anlauf, Schussrichtung und –stärke.
Die neuen Standards sind zu Beginn gewöhnungsbedürftig, haben jedoch mehr Potential und Realismus als im Vorgänger. Ob sie dann auch ausbalanciert sind, wird sich erst im Verlauf dutzender und hunderter Online-Matches zeigen. Denn jeder neuer Gameplay-Mechanismus lädt dazu ein, dass man seine Schwächen herauspröckelt und in der Wunde herumfingert. Von daher: Vielleicht ist weniger Innovation manchmal doch mehr?
Fazit:
Was soll ich sagen – ich liebe Fußball! Und FIFA gehört für mich genauso untrennbar in den Herbst wie Kastanien, Regentropfen auf der Brille, oder der Wunsch der Freundin, es möge doch endlich wieder Sommer werden.
In diesem Jahr hatte ich mich auf große Neuerungen eingestellt und habe sie mit dem Story-Modus „The Journey“ auch bekommen. Die Karriere des Youngsters Alex Hunter wird zwar auf Nummer Sicher, aber wirklich gut und glaubhaft inszeniert. EA Sports hat sich an dieser Stelle Mühe gegeben und auf Anhieb die Konkurrenz von NBA 2K in puncto Regie ausgestochen. Nebenbei eignen sich Alex‘ Abenteuer auch bestens dazu, Dribblings und Tricks zu trainieren. Insgesamt also mit Luft nach oben, aber eine runde Sache.
An der Optik der Serie hat sich hingegen überraschend wenig getan. Ich hatte realistischere Gesichter erwartet, bekomme diese jedoch nur bei den Coaches der Premier League. In der Bundesliga beispielsweise läuft dagegen viel durchschnittlich modelliertes Gemüse herum. Veränderungen der Engine sind im Gameplay schon spürbarer, wo alles ein wenig langsamer geworden ist. Bälle wollen nun nicht mehr von hakenschlagenden Hasen in Menschengestalt nach vorne getragen werden, sondern verarbeitet, abgeschirmt und gut verteilt. Um diesem Gedanken Rechnung zu tragen, wurde das Abschirmen des Balles massiv verstärkt und auch Steilpässe erfahren eine Renaissance. FIFA 17 ist im Vergleich zum Vorgänger für mich insgesamt das bessere Spiel und hervorragend für Einsteiger in die Serie geeignet. Alte Haudegen freuen sich wie immer über ein bombastisches Lizenzpaket und darüber, dass nichts so schön ist, wie dem eigenen Team die Meisterschaft zu holen.
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