Welcome to Mars
Der Mars ist in unserer Welt etwas dröge. Klar, es gibt Spuren von Wasser dort und Robotervehikel fahren ab und an auf seiner Oberfläche umher. Aber auch unabhängig der logistischen Unwägbarkeiten, ist der vierte Planet unseres Sonnensystems gegenwärtig nicht Urlaubsziel Nummer 1 für Erdbewohner.
Dennoch redet die Menschheit voller Erregung vom Mars. Denn was wir sehen wollen ist nicht der Status quo, sondern das Potential, das dieser Planet besitzt: Wasser bedeutet Leben, Roboterfahrzeuge sind ohnehin cool und die erste Fernsehshow auf dem Mars ist bereits seit über einem Jahr in Planung.
Wenn es jedoch nach Entwickler Spiders geht, sollten wir nicht bis 2025 warten, um auf die Euphoriebremse zu treten. Denn was der Mars in The Technomancer für uns bereithält, ist eine dystopische Zukunftsvision scheinbar ohne Silberstreif am Horizont: Das Schicksal des Planeten wird von Mega-Konzerten bestimmt, die sich in Kriegen um die knappen Wasserreserven verstricken und so eine Art Game of Thrones auf dem Mars spielen. Die Leidtragenden sind naturgemäß die Zivilisten, die in den meisten Fällen Karrieren in den Bereichen Übeltäterei, Bettlertum, Prostitution oder Rebellion einschlagen. In der Hackordnung darunter befinden sich noch die Mars-Mutanten, die eine Art Kaste der Unberührbaren bilden und die niedersten aller Aufgaben übernehmen.
I am Thunder
In diesem Idyll für Streetworker schlüpfen wir in die Rolle eines Technomancers. Einem Kampfmagier, dessen Körper elektrischen Strom produziert, den er im Nah- und Fernkampf nutzen kann. Was wir mit diesen Kräften tun, ist uns selbst überlassen. Nehmen wir das Gesetz in unsere eigene Hand, schlagen uns auf die Seite der Rebellen und versuchen die Konzerne zu Fall zu bringen? Oder beenden wir die Rebellion im Dienste des Establishments? Unsere Handlungen führen uns auf einen der beiden Pfade und beeinflussen, wer im Laufe des Spiels Feind und wer Freund sein wird.
Diese Definition der eigenen Rolle auf dem krisengeschüttelten Planeten ist die große Stärke von The Technomancer. Die Entscheidungsfreiheit in Kämpfen, Quests und Dialogen ist ansehnlich und motiviert, der Geschichte zu folgen, um ja nicht die falsche Entscheidung zu treffen.
Wer warst du doch gleich..?
Was diese Entscheidungsmechanik jedoch von Spielen wie beispielsweise Mass Effect unterscheidet ist, dass das Skript die Spannung nicht bis zum Punkt der Entscheidung aufzubauen weiß. Obwohl wir nach vielen Spielstunden allmählich beginnen zu begreifen, dass man sich beim Setting von The Technomancer durchaus Mühe gegeben hat, versteht das Storytelling sich nicht darauf, uns die Welt richtig zu präsentieren, sodass wir von Beginn an involviert sind. Erzählerisch war man leider nicht in der Lage, die Vision mit Leben zu füllen und auch wenn der Umfang mit 35-40 Stunden ab und zu in Ordnung geht, wird die Spieldauer zum Teil eben auch dadurch erreicht, dass einige Passagen des Spiels unnötig gestreckt werden und wir immer wieder einmal zu bereits besuchten Gebieten backtracken müssen.
Ähnliche Mängel findet man bei den Charakteren. Protagonist Zachariah macht zwar eine persönliche Entwicklung durch, bleibt aber als Charakter uninteressant. In den ersten Stunden ist er zudem nicht mehr als ein recht monotoner Befehlsempfänger und es fällt schwer Sympathie oder gar Identifikation aufzubauen. Bedauerlicherweise kann der Rest des Ensembles diese Charisma-Dürre nicht kompensieren. Wo wir im bereits angesprochenen Mass Effect Zuneigung und Freundschaft zu unseren Mitstreitern aufbauen, bleiben diese in The Technomancer flach.
Bereits in den ersten paar Spielstunden werden wir mit Situationen konfrontiert, in denen wir über Leben und Tod entscheiden müssen. Wünschenswert wären nun, dass wir als Spieler versuchen, uns um die Entscheidung herum zu winden und keine Option so recht übers Herz bringen können. Tatsache ist jedoch viel mehr, dass wir uns in keinem moralischen Dilemma befinden. Der Gegenüber bedeutet uns nicht viel; wir wissen kaum etwas über ihn. Und so fällt das tolle Feature der Entscheidungsfreiheit ein wenig über Bord, da uns die Konsequenzen emotional nicht so tangieren, wie sie es tun sollten.
Einstecken und Austeilen
Natürlich sitzt man als Technomancer nicht nur im Elfenbeinturm und fällt Entscheidungen aus sicherer Entfernung. Oft genug fällen wir auch Gegner auf dem Schlachtfeld. Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab und gewähren uns die Wahl zwischen drei verschiedenen Waffenkonfigurationen. Per Knopfdruck alternieren wir zwischen Attacken mit dem Kampfstab (Kämpfer), Streitkolben und Schild (Wächter) und Pistole und Dolch (Gauner). Mit jedem Kampfstil stehen uns andere Manöver zur Verfügung. Hinzu kommen natürlich noch die elektrischen Angriffe, die wir als Technomancer ausführen können.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen eröffnen große Variationsmöglichkeiten. Ein richtiger Bäm!-Faktor kommt jedoch nur selten auf. Das liegt unter anderem an der KI, die echte Probleme mit der Wegfindung haben und sich mit Vorliebe in den Rücken schießen lassen oder in Bomben laufen. Andererseits gibt es auch viele Stellen, die unfair anmuten und mit Wellen und Wellen von Feinden aufwarten – natürlich gekürt von Eskortmissionen, in denen wir Zivilisten schützen müssen. Das Kampfsystem will – wenn man die Schwächen der KI nicht übermäßig ausnutzen will – durchaus erst einmal gemeistert werden. Bereits auf dem normalen Schwierigkeitsgrad haben wir unzureichendem Equipment einige Male die Radieschen von unten betrachtet.
Auf dem Weg unter die Erde eilen unsere Gefährten bereitwillig voraus. Diese befolgen taktische Anweisungen unzureichend, laufen meist kopflos herum und dienen allzu oft nur als Kanonenfutter. Auch ein Heiler mit Fernkampfwaffe findet selten Distanz zum Gegner und lässt sich niederknüppeln während wir allein mit einer Übermacht an Gegnern ringen.
Talente in Entwicklung
Abgesehen von den Kampfstilen Kämpfer, Wächter und Gauner können wir auch sechs Talente wie beispielsweise Charisma, Wissenschaft oder Tarnung ausbauen. Was auch hier nach potentiell viel Spaß klingt, ist nur unzureichend umgesetzt. Schleichen bringt beispielsweise erst etwas, wenn wir viele Levelaufstiege sparen, um die raren Talentpunkte in diese Fähigkeit zu investieren. Ansonsten geht man in die Hocke, schleicht auf Gegner zu und überrascht ihn mit einem Schlag, der nur unwesentliche Vorteile gegenüber einem regulären Angriff besitzt. Darüber hinaus bietet das stringente Leveldesign zu selten die Möglichkeit, effektiv zu infiltrieren. Des beste Weg ist zumeist: Geradeaus.
Technomancer: Angestaubt mit Highlights
Technisch präsentiert sich The Technomancer schwachbrüstig. Zwar gibt es immer mal wieder schicke Panoramen zu betrachten, die jedoch von der Masse der leblosen Kulissen erdrückt werden. Der Mars bietet nur wenig Abwechslung und hat gerade in den Kämpfen mit Rucklern zu kämpfen. Dazu kommen grafische Bugs, die gerade in eigentlich stimmungsvollen Dialogen auftauchen und den Ton der Unterhaltung zunichtemachen. Positiv hervorzuheben ist hingegen das Kreaturendesign. Wenn die Gegner keine Humanoiden sind, konnte sich der Art-Director offenbar austoben und gibt uns eine ganze Reihe interessanter Boss-Monster.
Fazit:
The Technomancer ist wirklich kein schlechtes Spiel. Vielmehr handelt es sich um einen ambitionierten Titel, mit vielen interessanten Ansätzen, einem guten Kampfsystem und einer interessanten Handlung mit Wendungen und durchdachtem Szenario.
Aufkeimende Knospen der Begeisterung werden aber zu häufig schlicht zertrampelt: Auch wenn wir erahnen können, dass eine gute Geschichte hinter The Technomancer steckt, werden dem Spieler keine Brücken gebaut, die ihn Verbindung aufnehmen lassen – sei es durch interessante Charaktere oder eine gut strukturierte Dramaturgie. Und auch die Kämpfe können ihr Potential durch die KI der Begleiter und der Gegner nicht ausspielen – zumal zu oft das Balancing nicht stimmt. Mal werden wir von einer Übermacht an Feinden pulverisiert, mal besiegen wir einen Zwischenboss mit geringer Mühe.
Als Vollpreistitel steigt The Technomancer in den Ring mit Spielen wie Mass Effect, Fallout 4 oder The Witcher 3. Dieser Konkurrenz kann der Titel zu keinem Zeitpunkt das Wasser reichen. Wer jedoch Zeit investiert, eine Verbindung zu Story, Charakteren und Kampf findet und über technische Schwächen hinweg sehen kann, der wird das ambitionierte Projekt der Spieleschmiede Spiders lieben lernen können!