Odin Sphere – Leifthrasir – für PS4 ist nicht nur eines der schönsten dreizeiligen Gedichte der Videospielgeschichte, sondern auch das Remake eines PS2-Kleinods, welches vor fast 10 Jahren erstmals in Japan erschien.
Im Action-JRPG aus dem Hause Vanillaware erleben wir nacheinander die miteinander verwobenen Geschichten der fünf Protagonisten, die sich in kriegerischen Zeiten abspielen. Zwar weckt der Name Odin Sphere unweigerlich Erwartungen an ein sehr nordisches Setting, tatsächlich ist die Welt jedoch ein Flickenteppich fantastischer Elemente jeglicher Couleur. Natürlich wäre da der namensgebende Odin. Dieser ist hier jedoch ein Dämonenkönig und führt mithilfe seiner Töchter, zweier Walküren, einen Krieg gegen das Elfenkönigreich, die mit einem Drachen im Bunde stehen. Außerdem dabei: Trolle, Goblins, Hasenmenschen, Zwerge, Hexen, Einhörner, Pflanzenwesen und irgendwie auch Vulkanier – auch wenn diese zum Glück herzlich wenig mit ihren berühmten Namensvettern gemein haben. Erstaunlicherweise ergibt sich aus diesen unterschiedlichen Zutaten ein stimmiger Mix, dessen roter Faden trotz des fünffachen Perspektivwechsels erkennbar bleibt und an den myseriösen Crystallization Cauldron geknüpft ist. Wer diese Maschine besitzt, wird den Krieg beenden können – so oder so.
Odin Sphere: Ein Märchen mit dem Pinsel geschrieben
Wie von Vanillaware (Muramasa, Dragon’s Crown) gewohnt, lädt auch bei Odin Sphere das Design zum Staunen ein. Bereits das Hauptmenü, in dem Alice und ihre Katze Socrates, Spielern des Originals wohl noch bestens bekannt, durch die Narrative des Spiels leiten, ist ein Hingucker. Was hier etabliert wird, wird uns auch das restliche Spiel begleiten: Qualitativ extrem hochwertige, handgezeichnete 2D-Grafik. Liebevoll animierte und sehr detaillierte Charaktermodelle, die sich vor fantasievollen Hintergründen bewegen.
Odin Sphere gehört zu der Art Spiel, die bereits durch ihren Look eine einzigartige und stimmungsvolle Atmosphäre kreieren können. Für das Remake wurden alle Zeichnungen neu angefertigt, um sie in 1080p knackscharf präsentieren zu können. Vanillaware machte aus einem fast zehn Jahre alten Spiel etwas, dass dank der 60 fps auf der PS4 als zeitlos bezeichnet werden kann. Auch der Soundtrack ist gelungen, auch wenn er sich nicht auf dem gleichen Niveau wie die Optik bewegt. Schade für uns: Eine deutsche Tonspur hat es leider nicht in das fertige Spiel geschafft, dafür können wir jedoch zwischen japanischer und englischer Sprachausgabe wählen und deutsche Untertitel hinzuschalten.
Der Ritt der Walküren
Odin Sphere ist jedoch mehr als nur ein hübsches Gemälde. Gerade in den Kämpfen beweist der Titel, dass hinter der schönen Fassade mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Mit unserem ersten spielbaren Charakter Gwendolyn werden wir in die Grundlagen des Kampfes eingeführt. Und schon nach kurzer Zeit lässt uns das zugängliche Kampfsystem dutzende Treffer zu einer einzigen Kombo verketten. Gwendolyn springt, schwebt, stößt auf Gegner hernieder, sticht blitzschnell zu, schlägt ausladend, blockt, weicht aus und kontert. Während die ersten Schergen im Vorbeifliegen besiegt werden können, müssen wir mit fortschreitender Spieldauer immer mehr auf die Aktionsmuster der Gegner achten und Schwachpunkte im Pattern ausfindig zu machen und zurück zu schlagen. Im Vergleich zum Original hat sich hier einiges getan. Einige Angriffe sind nun schneller und überfallartiger als noch auf der PS2, Tastenkommandos wurden verändert und das gesamte Timing fühlt sich anders an als noch 2008 – wer einen direkten Vergleich anstellen möchte: Das Original ist an Leifthrasir angefügt.
Neben den grundlegenden Manövern, verfügt jeder Charakter zusätzlich über Spezialattacken, die wir in einem Skilltree freischalten und verbessern können. Diese können wir auf einen der vier Hotkeys legen und so verheerende, wie auch strategisch unerlässliche Angriffe vom Stapel lassen. Gwendolyn vereist beispielsweise kurzzeitig Gegner – was besonders gegen die wuchtigen Zwischen- und Endgegner effektiv ist – oder blendet sie, sodass sie für eine gewisse Spanne orientierungslos um Zuwendung mit dem Speer betteln.
Geschüttelt und gerührt
Das Arsenal an Offensivmanövern wird durch Zaubertränke komplettiert. Mit einem Druck auf die Dreieck-Taste poppt auch in den hektischsten Kämpfen das Menü auf und die Welt steht still. Nun können wir uns entweder heilen, oder eben auf unser Sortiment an Zaubersprüchen zurückgreifen, die uns durch bestimmte Tinkturen verliehen werden. Zwar sollte man kein Taktik-RPG erwarten, jedoch bringen die verschiedenen Sprüche, Buffs und Elixiere vor allem gegen starke Gegner mehr Tiefgang ins Spiel.
Um an die kostbaren Mixturen zu kommen, finden wir in der Welt Rezepte, Materialien und Pflanzen(wesen), die wir zu verschiedensten Angriffs- oder Defensivtränken verarbeiten können. Denn neben dem furiosen Action-Spektakel liegt das Augenmerk von Odin Sphere eben auch im Crafting. Das zeigt sich auch in der Vorliebe der Entwickler, das Kulinarische zu einem Element der Spielmechanik zu erheben. Entweder in Eigenregie oder mithilfe eines Kochs werden gefundene Items zu Mahlzeiten verarbeitet, die Boni bescheren, Wunden heilen und die Erfahrungsleiste füllen. Die nötigen Zutaten finden wir entweder bereits fertig in der Welt oder pflanzen sie selbst an. Gefundene Samen lassen sich kultivieren, sodass aus ihnen fertige Früchte werden. Dafür braucht ihr Phozon-Kristalle, die jedoch nicht nur die kostbaren Pflanzen wachsen lassen, sondern auch zum Upgraden eurer Fähigkeiten benötigt werden. Hier ist es also an euch selbst, Prioritäten zu setzen.
Angriff der Japano-Elemente
Odin Sphere hat jedoch auch seine Schwächen. Eine davon liegt im fast verpflichtenden Grinden. Am Anfang gleitet Gwendolyn durch die Horden wie ein Speer durch Margarine. Irgendwann vergessen die Gegner jedoch ihre Kinderstube und setzen sich gegen die Prinzessin mit Fangzähnen und Klauen zu Wehr. Die beste Art und Weise damit umzugehen, ist es in den sauren Apfel zu beißen. Damit sind nicht nur die XP-spendenden Früchte gemeint, sondern auch die Tatsache, dass es beinahe unumgänglich wird, Backtracking zu betreiben und in bereits besuchten Levelabschnitten zu grinden.
Das kann mitunter etwas langatmig werden, zumal die Gegnervielfalt innerhalb der Level nicht von der gleichen Kreativität zeugt wie die Optik des Spiels. Wer sich von diesem typisch japanischen Rollenspielelement nicht aus der Ruhe bringen lässt, der wird vermutlich auch nichts gegen die anderen klassischen Genre-„Schwächen“ haben. So ist die Geschichte, wenn auch gut erzählt, doch von einer gehörigen Portion Japano-Pathos durchzogen u
nd Tutorials werden dem Spieler grundsätzlich per Texttafel nahe gebracht. Auch wenn diese Elemente für Anhänger eher westlich geprägter Spiele befremdlich wirken mögen, sind sie Kleinigkeiten, die einen großartigen Eindruck nicht entscheidend zu trüben vermögen.
Fazit:
Man sieht Odin Sphere in keiner Weise an, dass das Grundgerüst des Spiels fast eine Dekade auf dem Buckel hat. Dank der aufgebohrten, zeitlosen Optik wirkt das Spiel technisch taufrisch und die handgezeichneten Charaktere, Hintergründe und Fantasiewesen sehen fantastisch aus.
Begeistern tun jedoch in erster Linie die spektakulären Kämpfe gegen viele kleine oder einzelne große Widersacher, die dem Spieler im späteren Verlauf einiges abverlangen. Trotz des Anspruchs gibt es wenige Titel, die auch Anfängern so ein schönes Gefühl von Flow in einem Kampf vermitteln, wie Odin Sphere. Fließend geht ein Angriff in den nächsten über, wir entfesseln Magien, fliegen über die Köpfe unserer Gegner und zerschmettern im nächsten Moment die Deckung des Fußvolks.
Um jedoch nachhaltigen Spaß mit Odin Sphere zu haben, muss man auch Gefallen am Grinden finden können. Ohne Schauplätze mehrfach zu besuchen und viele, viele Koch- und Alchemie-Rezepte abzuarbeiten, ist der Widerstand der Gegner irgendwann nicht mehr zu brechen. Die Geschichte allein wird euch nicht bei der Stange halten – die berauschenden Kämpfe haben dazu jedoch allemal das Potential!
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