Politik ist komplex? Ja!
Der Politiksimulator wirft den Spieler, ähnlich der Strategiespiele aus dem Hause Paradox, zu Anfang auf eine Strategiekarte mit vielen komplexen Menüs. Anders als beim schwedischen Konkurrenten kommen die allerdings eher schmucklos daher. Zum Start des Spiel begrüßt uns eine eher amateurhaft synchronisierte Nachrichtensprecherin und gratuliert uns zum Wahlerfolg. Nun kann es losgehen.. Ja womit eigentlich?
Verloren im Dschungel der Möglichkeiten
Die vielen Möglichkeiten von Politiksimulator 4 sind Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite ist die Komplexität wahrlich beeindruckend. Jedes Land der Welt ist spielbar. Ist ein Land einmal ausgewählt, können Gesetze in allen erdenklichen Bereichen erlassen oder verändert werden. Angefangen mit den Steuersätzen, über Umweltpolitik, Außenpolitik, Gesundheitspolitik und vieles mehr. Kurzum: nahezu alle Politikfelder sind auf die ein oder andere Weise abgebildet. Ihr wolltet schon immer mal die Vermögensteuer einführen und fleißig umverteilen? Los gehts! Aber auch nur wenn (in demokratischen Ländern) die parlamentarischen Mehrheiten erreicht werden. Sonst müsst ihr erstmal um Unterschützung werben. Die Vielfalt der Möglichkeiten der politischen Gestaltung sind beim Politiksimulator 4 jedenfalls immens.
Diese Komplexität kann für Genre-Veteranen eine faszinierende Herausfordern sein, für Neueinsteiger ist sie – auch aufgrund des mangelhaften Tutorials – allerdings eher erschlagend. Denn anders als etwa Democracy 3, welches ebenfalls versucht moderne Politik zu simulieren, fehlt es dem Politiksimulator 4 an wichtigen Feedback-Informationen und dem Aufzeigen von Zusammenhängen in einer für den Spieler verständlichen Form. Stattdessen gibt es komplexe Tabellen und viel Ungewissheit. Das ist zwar irgendwo realistisch, kann aber schnell frustrierend sein. Denn wer nicht gerade Wirtschafts- oder Politikwissenschaftler ist (und auch das ist bestenfalls eine Hilfe), wird sich rasch fragen, was denn überhaupt die möglichen Auswirkungen und die Vor- und Nachteile der meisten politischen Entscheidungen sind.
Was es beispielsweise bewirkt wenn die Mehrwertsteuer um 3% erhöht wird, zeigt uns der Politiksimulator erst im Nachhinein. Die Auswirkungen vieler der Entscheidungen werden uns auch dann in erster Linie im Bezug auf unsere Beliebtheit vedeutlicht, alles andere bleibt nebulös. Die Rückwirkung etwa auf die Wirtschaft müssen wir mühselig aus verschachtelten Tabellen und Grafiken ablesen. So kommt man sich rasch etwas verloren vor und fragt sich womit man überhaupt beginnen soll und was man davon hat. Zwar sind Wikipedia-Artikel zu vielen Maßnahmen verlinkt, aber man muss schon einiges an Enthusiasmus mitbringen um sich durch lange Artikel zu kämpfen nur um eine, einzelne Spielmechanik zu verstehen. Der Politiksimulator macht also am meisten Spaß, wenn man eine grobe Ahnung von Politik, eigene Ziele im Kopf hat und auch dann ist er nicht ohne Tücken.
Eine Richtung, etwa in Form von konrekten Aufgaben oder Entscheidungen, wird dem Spieler nur gelegentlich vorgegeben. So zum Beispiel, wenn es um eine Entscheidung zum Thema Fracking, also einer neuen Form der Öl- und Gasförderung geht. Dabei wird die politische Diskussion, dieses auch in der Realität hoch aktuellen Themas, durchaus glaubwürdig behandelt. Der Simulationsanspruch des Spiels kann hier, trotz eher bemühter Inszenierung durchaus punkten, etwa wenn Vertreter verschiedener Interessensgruppen und Parlamentsfraktionen ihre Position zum Thema energisch bei der Kanzlerin vortragen und diese dann ein Gesetz in den Bundestag einbringen soll. Der Spieler muss nun entscheiden ob er diese Technik komplett legalisiert, eingeschränkte Forschung erlaubt oder sie gänzlich verbietet. Das die Kanzlerin von Deutschland bei Eversim, offensichtlich aus Gründen des Persönlichkeitsrechts, Gisela Kermel heißt, verleiht dem Ganzen dann wiederum eine eher humoristische Note.
Irgendwas ist immer – Proteste und Krisen
Gelegentlich wird der Spielfluss von aktuellen Ereignissen unterbrochen, die in einem kurzen TV-Nachrichten Clip illustriert werden. Diese Einspieler sind leider nicht für die einzelnen Länder angepasst, sondern mit generischen Texten versehen, was die Immersion etwas zerstört. Bei der Krise kann es sich um Aufstände, wirtschaftliche Verwerfungen oder anderen kleinere und größere Katastrophen handeln. Bei einem Aufstand etwa können wir man verschiedene Maßnahmen ergreifen wie etwa im TV an die Demonstranten zu appellieren friedlich zu bleiben oder aber die Armee hinzuziehen um die Situation gewaltsam zu lösen. Die Polizei greift automatisch ein und versucht gewalttätige Demonstranten aus dem Verkehr zu ziehen. Je nach Verfassung des Landes hat unser Vorgehen natürlich enorme Auswirkungen auf den weiteren Verlauf und unsere Popularität. Wer also in einer Demokratie meint die Armee eine Demonstration auflösen zu lassen bekommt es schnell mit einer sehr viel größeren Demonstration, massivem Popularitätsverlust und bald auch einer Wahlniederlage zu tun. Soweit, so glaubwürdig.
Schade nur, dass diese Mechanik oft von einigen Logiklücken und Bugs geplagt wird. In einem unserer Spielstände ließen wir die Demonstranten gewähren, es wurden immer weniger und sie büßten in der Bevölkerung an Zustimmung ein. Doch dann… Ja dann blieben 11 von ihnen übrig, umringt von 200 Polizisten, wochenlang und uns zeigt das Spiel eine laufende Revolte an. Eine Revolte von 11 Leuten. Ist klar. Die Polizei auffordern die verbliebenen 11 Randalierer festzunehmen? Können wir nicht. Wir könnten nur die Armee senden, was wir nicht wollen. Und so bleiben die 11 für Wochen auf dem Platz und vollziehen völlig unbehelligt, umringt von 200 Polizisten auf jeder Seite ihre Revolte. Amüsant? Allemal. Aber mit Simulation hat das dann wieder weniger zu tun.
Krieg und Frieden
Auch die Außenpolitik simuliert Eversims Titel umfassend. Von Handelsverträgen über EU Verhandlungen zu Agrarsubventionen ist die ganze Palette in mehr oder weniger komplexem Umfang abgebildet oder zumindest angedeutet.
Dazu gehören natürlich auch die Konflikte und Kriege die der Titel realistisch zum Stand Januar 2016 auf der Weltkarte abbildet. Hier begibt sich die Simulation auf zumindest nicht völlig unkritisches Terrain. Denn der Spieler kann in aktuelle Kriege, wie etwa den Bürgerkrieg in Syrien, in dem Hunderttausende in der Realität sterben, eingreifen oder diesen gar befeuer
n. Diese „spielerische“ Abbildung von Konflikten ist sicherlich nicht jedermanns Sache, da es sich um in der Realität stattfindende Tragödien handelt. Auf der anderen Seite, suggeriert das Spiel keineswegs einfache Lösungen für solche Konflikte. Ganz im Gegenteil. Es bildet recht authentisch ab, wie komplex solche Konflikte sind und warum militärische Interventionen keine Patentlösungen sind, sondern die Situation zum Teil sogar noch verschlimmern. Entscheidet sich der Spieler etwa für eine Intervention durch Luftschläge, so lassen sich zivile Opfer nicht verhindern. Diese werden zwar nicht dramaturgisch in Szene gesetzt, aber der Spieler erhällt in diesem Fall klares Feedback über die Konsequenzen in Form von protestierenden Bürgern und anderen Events. Eine friedliche Lösung lässt sich jedoch ebensowenig ohne ein Eingreifen herbeiführen. Hier erreicht das Spiel schon fast ein unheimliches Maß an Realitätsnähe und ist in Verbindung mit anderen Medien und Aufklärungsmaterial durchaus als serious game für Bildungszwecke denkbar. Gerade weil es auf eine effekthaschende Präsentation verzichtet.
Fazit: Mechanik ohne Seele
Der Politiksimulator 4 ist wohl einer der am schwersten zu bewertenden Titel die mir je untergekomen sind. Auf der einen Seite ist es erstaunlich wie nah der Titel vielen Prozessen des politischen Betriebes kommt und wie komplex er in seiner Abbildung der Vielschichtigkeit moderner Politik ist. Anders als bei Democracy 3 beinhaltet dies auch viele unvorhersehbare Konsequenzen die sich nicht einfach meistern lassen und daher eine spannende Herausforderung bieten. Jeder der sich wünscht einmal die Zügel in einem beliebigen Land in die Hand zu nehmen bekommt hier die Chance eine einzigartige Spielerfahrung zu erleben.
Auf der andere Seite merkt man dem Spiel jedoch an allen Ecken und Enden das extrem geringe Budget, die mangelnde Sorgfalt und die wenig ausgreifte Benutzeroberfläche an. Wer hier herrscht, muss leiden. Oft weiß man nicht wie man wo, wann, was bewirken kann und was das überhaupt bringt. Die fehlenden echten Namen, Symbole und die furchtbare Synchronisation lassen das Spiel oft eher lächerlich als Ernsthaft erscheinen und man viel verzeihen können um die interessante Spielmechanik zu genießen.
Eine Empfehlung gibt es daher nur für Politikfans mit Frustoleranz!