Die Witcher 3 Add-Ons, und damit auch Blood & Wine, hatten bei mir schon vor Erscheinen einen fetten Stein im Brett. Unabhängig von ihrer Qualität, so dachte ich, werden sie doch in jedem Fall wieder Gelegenheit und eine Ausrede bieten, in der Redaktion Witcher 3 zu spielen, ohne dafür auf die Finger zu bekommen. Nachdem jedoch Hearts of Stone schon ein voller Erfolg war, legt Blood & Wine noch eine Schippe drauf und sichert damit Entwickler CD Project Red einen Platz auf meinem ganz persönlichen Olymp der Spieleschmieden. Wäre Blood & Wine halb so groß gewesen, so hätte ich sie wohl immer noch für den Umfang dieses Add-Ons gelobt. Für die 20 Euro Anschaffungspreis gibt es 20-30 Spielstunden! Das ist mal eine Ansage!

Erst einmal: Urlaub

Um die ohnehin schon ziemlich pralle Weltkarte des Hauptspiels zu schonen, hat man das neue Gebiet Toussaint für Geralt in eine Art Urlaubsort verwandelt. Das Fürstentum atmet mediterranes Flair und ist ein wunderbarer Kontrast zu Velen oder Skellige. Zwar ist Toussaint ähnlich groß, aber durch seine Lage, ist es erstens vom Krieg gegen Nilfgaard unberührt geblieben und zweitens deutlich erholsamer als die düsteren Moore von Velen. Abgeschnittene Ohren lassen grüßen.

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Wenn das mal nicht malerisch anmutet!

Natürlich ist nur auf den ersten Blick alles Friede, Freude, Nougatcrêpe. Schon bald werden wir auch hier knietief durch Monsterblut waten. Und auch landschaftlich hat Toussaint mehr zu bieten als nur Weinberge. Denn wie Leveldesigner Miles Trost richtig erkannt hat: „Das Schöne wird langweilig, wenn es keinen hässlichen Kontrast gibt.“.  Für beide Enden dieser Skala hat man in Toussaint gesorgt, denn auch finstere Sümpfe gibt es zu entdecken. Wobei selbst das Gras und die Höhlentexturen für das Add-On neu gebastelt wurden, und daher frisch und neu daherkommen.

Ritter und Riesen

Neue Flora schön und gut, was aber wirklich zählt ist das belebte Gelump das hier umherstrolcht. Da wären beispielsweise die pompösen, goldgerüsteten Ritter, die so dermaßen ehrbar sind, dass ihnen zuzuhören einfach eine Wonne ist – und lustig ist es noch dazu. Es sei denn, man macht den Fehler, sich über die Fürstin lustig zu machen. Da haben die Herren eine verdammt kurze Zündschnur und eine umso längere Lanze.

Darüber hinaus sind sie in Aufruhr, da ein wildgewordenes Monster den Landstrich verwüstet – und da kommen natürlich wir als Hexer ins Spiel! Angeheuert als Kammerjäger fürs Grobe werden wir in das nächste undurchsichtige Kapitel in Geralts Leben hineingezogen. Und wie schon bei Hearts of Stone ist Nichts so, wie es am Anfang scheint – oder doch? Das muss jeder für sich selbst herausfinden.

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Die güldenen Ritter können vor lauter Tugendhaftigkeit kaum geradeaus reiten.

Komplettiert wird die Fauna von Blood & Wine von allerlei neuem, monströsem Getier. Über 20 neue Gegner, vom Pflanzenwesen bis zum Zyklopen, warten nur darauf unsere beiden Schwerter als Trophäen im heimischen Dungeon an die Wand zu hängen. Zum Glück sind wir ja als recht wehrhaft und intelligent bekannt. Wer sein Bestiarium nicht nur als Briefbeschwerer und seinen Kopf nicht als Hutständer benutzt, kann die Schwächen einiger Monster in Blood & Wine noch effektiver ausnutzen. Wer den wütenden Zyklopen beispielsweise mit einer Eisbombe einfriert, hat genug Ruhe, um mit seiner Armbrust auf sein eines, anfälliges Auge zu schießen – und siegt so mit einem einzigen Schuss. Ich bin ein großer Fan einer solchen Spielmechanik, solange man sich danach nicht wie ein Cheater fühlt und diese „Kniffe“ gut in die Spielewelt implementiert werden. CD Project schafft hier beides!

Die Lachfalte mit dem Schwerte gezogen

Die Quests in The Witcher konnten sich schon immer sehen lassen. Blood & Wine bricht nicht mit dieser Tradition, sondern macht in bestimmten Bereichen sogar noch einen Schritt nach vorn. Natürlich werden wir im Verlauf des Abenteuers an einem Ritterturnier teilnehmen. Wir werden mehr finstere und blutrünstige Geheimnisse aufdecken als uns lieb ist. Aber wir werden auch eine gute Prise Humor erleben. Da wäre zum Beispiel der Kampf gegen die Bürokratie in Toussaint, die wir mit dem Passierschein A38 angehen müssen. Oder der denkwürdige Quest, in der wir die Hoden einer Statue wiederfinden solen, die dem Träger nie gekannte Potenz verleihen soll.

Was besonders gefällt ist, dass nun auch die genretypischen Wegwerf-Open-World-Quests wie „Zerstöre Monsternester“ nun häufiger mit einer Geschichte verbunden sind und eine ganze Questreihe nach sich ziehen können. Zudem beeinflussen Aufgaben wie „Zerstöre das Banditenlager“ nun spürbar die Umgebung. So werden aus Monsterhöhlen durch unser Einwirken Weinkeller und ganze Regionen und riesige Statuen werden nur gebaut, wenn wir als Schutzmacht auftreten.

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Der Riese hat einen augapfelgroßen Schwachpunkt.

Willkommen zuhause!

Irgendwann muss jedes Rollenspiel mal Housing ins Spiel bringen – beim Witcher ist es jetzt bei Blood & Wine soweit. Geralt bekommt sein eigenes Weingut, das wir beim Haushofmeister mit genügend Kleingeld in der Tasche ordentlich aufmotzen können. Vor allem unsere eigene Eitelkeit wird durch das stetig wachsende und aufblühende Stück Land gekitzelt. In Vitrinen und auf Ständern stellen wir unsere eigenen Waffen und Rüstungen aus und hängen sogar Bilder auf.

Außerdem steht dort unser eigenes Bett. Bisher zog Geralt es ja vor, im Schlamm zu meditieren statt mit dem Ohr an der Matratze zu horchen. Nun wurde er aber von der neuen Sesshaftigkeit von den Vorzügen einereigenen Koje überzeugt. Hier machen sich Investitionen in das Anwesen Corvo Bianco auch spielmechanisch bezahlt. Denn in einem ausgebauten Haus, bekommen wir beim Nächtigen allerlei Boni auf Vitalität, Erfahrungspunkte und andere Vorteile. Der eigene Kräutergarten und die Hausschmiede sind natürlich auch nette Dreingaben!

Blood & Wine und, und, und…

Auch in der Charaktergestaltung hat CD Project Red nachgebessert: Nach dem Abschluss einer Quest schalten wir mächtige Mutationen frei, die unsere Art zu kämpfen entweder deutlich aufwerten oder über den Haufen werfen kann. So können wir mit einem der Boni unseren Zeichen einen mächtigen Explosionseffekt hinzufügen oder unsere Armbrust zu einem absoluten Todeswerkzeug machen. Der Macht der neuen Mutationen wird Rechnung getragen, indem nur eine zurzeit aktiviert werden kann. Aber hier macht es Spaß zu experimentieren und sich auszutoben – haben sich wohl auch die Entwickler gedacht, die hier ein cleveres und sinnvolles Erweiterungssystem für Geralt ausgeklügelt haben.

Zu der überarbeitenden Charakterentwicklung kommen noch neue Rüstungen und Waffen, sowie das Diablo-esque Konzept der Rüstungssets. Eine komplett neue Hexerschule, sowie eine neue
Ausbaustufe für Hexerausrüstung – das Großmeisterlevel. Ein übersichtlicheres Inventar, eine überarbeitete Weltkarte, die Möglichkeit Rüstungen umzufärben, und, und, und… Blood & Wine zelebriert, wie Toussaint selbst, den Überfluss.

Fazit:

Blood & Wine ist in jeder Hinsicht ein vorbildlicher DLC geworden. Jede Facette des Spiels wurde noch einmal durchdacht und mit Liebe überarbeitet, die daraus keinen halbgares Witcher 4 zusammengeklöppelt haben, sondern ein Add-On der Spitzenklasse.

Es gilt ein riesiges Gebiet zu erkunden, das sich so lebendig und interaktiv anfühlt wie nie zuvor. Eine gewohnt tolle Story mit interessanten Charakteren. Neue, gefährlichere Monster und besser inszenierte Bosse. Aber Blood & Wine geht eben noch den einen Schritt weiter und schenkt auch den wenigen Aspekten Aufmerksamkeit, die es am Hauptspiel zu kritisieren galt. Mit den Mutationen, den neuen Rüstungssets  und dem Runenschmied wurde die Charaktergestaltung ordentlich aufgemotzt und ist nun diesem 100+ Stunden Epos gerecht geworden.

Ich kann mir kein größeres Kompliment vorstellen als das: Blood & Wine macht das sehr gute Witcher 3 nun fast perfekt. Und obwohl ich die Hauptgeschichte schon vor vielen Monaten beendet habe, hat mich auch die Geschichte des Add-Ons wieder in ihren Bann gezogen – das haben bisher die wenigsten DLC’s geschafft!

Getestet wurde die PS4 Version des Addons.  

[pricemesh]

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