Ich mag diese Art von Spiel. Unmittelbar nach Durchlaufen des Abspanns ruft man seinen Kumpel an und hofft, dass der Kerl zur Abwechslung mal einigermaßen zügig war und ebenfalls schon bei den Credits ist. Weil man einfach darüber reden will. So ging es mir zum Beispiel mit Bioshock Infinite, Life is Strange und jetzt eben auch mit Firewatch. Das Spiel von Campo Santo war für mich wieder ein schönes Beispiel für eine Geschichte, die am besten durch das Medium Videospiel erzählt werden kann.
Mutiger Minimalismus
Und diese Geschichte beginnt zunächst unkonventionell. Wie bei einer Visual Novel oder den verboten atmosphärischen Kurzgeschichten in Lost Odyssey für die 360, wird uns die Geschichte des Protagonisten Henry erzählt. Wie er die junge Julia kennenlernt, sich verliebt, heiratet und mit ansehen muss, wie sie schon in ihren 40ern mit Alzheimer zu kämpfen hat. Überfordert von der Situation und der Pflege seiner Frau nimmt Henry einen neuen Job an, der ihn für ein halbes Jahr auf einen Wachturm in einem Nationalpark bannt, wo er etwaige Waldbrände melden soll.
Dabei schneidet das Spiel zwischen den mit Musik untermalten Texttafeln und Henrys Ankunft im Wald immer hin und her. Während wir bei der Ankunft wenig spielerische Freiheit haben und eigentlich nur in 30 Sekunden-Segmenten geradeaus laufen müssen, lässt uns das Spiel Entscheidungsmöglichkeiten in den Textpassagen. Diese Entscheidungen beeinflussen, wie Henry später über seine Frau und sein Leben sprechen wird. Zunächst war ich von den Auswahloptionen ein wenig enttäuscht. Beispielsweise wenn Julia eines Abends angetrunken und viel zu spät nach Hause kommt, lässt mir das Spiel nur die Wahl sie entweder zu ignorieren, oder anzufahren. Dabei hätte ich sie viel lieber gefragt, ob sie Spaß hatte und warum sie nicht kurz eine SMS geschrieben hat. Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Firewatch überlässt uns nicht eine spielbare Protagonistenhülle, in die wir hineinschlüpfen und mit unserer Persönlichkeit ausfüllen sollen, sondern Henry als Charakter, den wir mit unseren Entscheidungen zwar akzentuieren aber nicht völlig umkrempeln können. Und da sich Firewatch primär mit Henry und seinem Wesen beschäftigt, applaudiere ich Campo Santo für diesen tollen Einstieg. Ich weiß, Texttafeln klingen erst einmal reichlich unsexy, aber mich hatte das Spiel nach dem Prolog bereits mit beiden Füßen im Boot: Bereit für die Abfahrt.
Die Feder ist mächtiger als das Schwert
In Wyoming angekommen, sind wir von der Außenwelt nahezu völlig isoliert. Unsere einzige Verbindung besteht in dem Walkie-Talkie, das wir nutzen können, um mit unserer Chefin Delilah in Kontakt zu treten. Und das werdet ihr häufig im Spiel. Und ihr werdet es lieben. Denn die Stärke von Firewatch liegt in den großartig geschriebenen Dialogen. Völlig organisch erwachen die Figuren zum Leben, obwohl wir nur ihre Stimme über Funk präsentiert bekommen. Delilah entpuppt sich als offener und unterhaltsamer Konterpart, der uns bei unseren täglichen Pflichten immer mal wieder anfunkt. Ähnlich wie einem Telltale-Spiel können wir selbst entscheiden wie oft und was wir antworten und Delilah wird dementsprechend reagieren. So gestalten wir unsere Beziehung zu ihr, können aber an der guten, wenn auch linearen Hauptstory kaum etwas was verändern.
So widmen wir uns in erster Linie der Feuerprävention und erwarten einen ruhigen Sommer. Aber schon nach kurzer Zeit beginnt die Idylle zu bröckeln. Die Teenager, die wir wegen ihres Feuerwerks angeschnauzt haben werden bei der Polizei als vermisst gemeldet, ein mysteriöser Mann beobachtet uns und in unseren Wachturm wird eingebrochen. Ganz zu schweigen von dem rätselhaften, umzäunten Areal im Wald, das eigentlich gar nicht da sein dürfte… Mehr wollen wir an dieser Stelle aber auch nicht spoilern, da uns der Detektivpart selbst viel zu viel Spaß gemacht hat.
Wie steht ihr zum Wandern?
Wobei der Begriff „Detektivpart“ in euren Köpfen jetzt womöglich eine Actionkomponente impliziert, die es in Firewatch so einfach nicht gibt. Das Gameplay, je nach Spielweise um die 6 Stunden, dreht sich vornehmlich um das Erkunden des Nationalparks und verdient daher seinen Ruf als Walking Simulator, oder viel mehr Hiking Simulator. Zwar finden wir im Laufe das Spiels mal Seile oder eine Axt, um vorher unzugängliche Areale erreichen zu können, jedoch beschränken sich diese, ich sage jetzt mal Metroidvania-Elemente auf ein Minimum.
Was den Spaß ausmacht ist das Umherstreifen in der optisch beeindruckenden wenn auch stilistisch eigenwilligen Natur. Diese können wir völlig ohne HUD bewundern: Eine Karte und ein Kompass sind alles was Henry zur Navigation braucht. In diesem Zusammenhang möchten wir empfehlen, die automatische Positionsbestimmung, die unsere gegenwärtige Lage auf der Map anzeigt, auszuschalten. Wer sich ohne dieses Hilfsmittel orientiert, kennt das weitläufige aber sackgassenarme Gebiet bald wie seine Westentasche und baut eine eigene Beziehung zum Park auf. Firewatch lebt von seiner Liebe zu den Details und der grandiosen Atmosphäre die dadurch und die grandiose Comicoptik geschaffen wird. Wer bei Sonnenuntergang durch sein Tal streift, saugt den Moment auf und ist motiviert weiterzumachen – selbst wenn die gute Story nicht wäre. Diese wird in erster Linie unaufgeregt inszeniert, hält aber die ganze Zeit über bei der Stange.
An interessanten Stellen in der Landschaft können wir unsere Chefin Delilah anfunken und uns mit ihr austauschen – oder es eben sein lassen. Der Reiz das Funkgerät zu benutzen war für mich jedoch die ganze Zeit über gegeben, einfach um den beiden sympathischen wenn auch nicht unfehlbaren Menschen zu lauschen. Im späteren Verlauf des Spiels ist sich Henry phasenweise nicht mehr sicher, ob er das Walkie-Talkie nutzen sollte und in diesem Moment sind wir komplett mit ihm identifiziert, weil wir selber unbedingt weiterfunken wollen und uns auf der Metaebene als Spieler auch gar nicht so sicher sind, ob das Spiel es jetzt schlimm finden würde, wenn wir doch noch funken würden. So erfindet man sich seine Ausreden selbst ebenso wie Henry es tut – und das macht Firewatch einfach stark.
Übrigens: Mein Kumpel war noch nicht durch mit Firewatch als ich anrief. Stattdessen habe ich die nächsten zwei Stunden in Foren und auf YouTube verbracht, um zu schauen, was Andere von Firewatch und seinen erzählerischen Nuancen halten und welche Verschwörungstheorien es schon gibt, was die Mysterien betrifft. Man wird nicht enttäuscht. Doch nun Marsch in den PlayStation Store und downloaden!
Fazit
Es menschelt im Nationalpark. Firewatch hat mich von Minute Eins an gefesselt als es mir im Prolog mit minimalistischst
en Mitteln eine interessante Ausgangsposition schafft und eine dichte Atmosphäre webt. Ich habe den Titel in einem Rutsch durchgespielt, was bei ca. 6 Stunden Spielzeit für 20 Euro auch voll in Ordnung geht. Und dabei habe ich jede Minute in MEINEM Park genossen genossen. Das andächtige Pacing des Gameplays lässt Raum und Zeit für die Geschichte sich in unseren Köpfen zu entwickeln und Henry und Delilah erwachen zum Leben. Bald schon funken wir sie wegen jeder Kleinigkeit an, um zu sehen wie sich die Beziehung zwischen den Beiden entwickelt und mehr von ihren Eigenheiten und Macken mitzukriegen oder von ihrer Biografie zu erfahren. Dabei will ich nicht ausschließen, dass der Titel nicht etwas für Jeden sein wird. Action ist kaum vorhanden und wer sich nicht für geografische und menschliche Entdeckungsreisen begeistern kann, ja für den bleibt nicht viel übrig. Firewatch hat mich persönlich zum Nachdenken angeregt und komplett in seine Welt gezogen – und dafür ziehe ich erneut meinen Hut.