Normalerweise steht am Ende eines Spieletests immer eine Wertung. Oft genug soll diese Zahl den Spielspaß ausdrücken, der gleichbedeutend mit der Qualität des Spiels sein soll. Diese Rechnung wird im Fall von This War of Mine: The Little Ones jedoch nicht aufgehen. Ich habe diesen Titel wirklich gern gespielt, aber hatte ich dabei ungetrübten Spielspaß? Eher nicht – ganz im Sinne des Erfinders.
Unter Belagerung
This War of Mine spielt während eines fiktiven Bürgerkriegs in der Stadt Pogoren. Hier sind blutige Kämpfe, Plünderungen und das Recht des Stärkeren Normalität geworden. Wir übernehmen die Kontrolle über einer kleinen Gruppe von Zivilisten – von Lehrern, ehemaligen Fernsehköchen, Fußballspielern usw., und versuchen sie irgendwie lebendig durch den Konflikt zu steuern.
Das bedeutet in erster Linie: Grundbedürfnisse erfüllen. Jeder Überlebende braucht Nahrung, Wärme, Schlaf, zumindest ein Minimum an Komfort und das Gefühl der Sicherheit. Jeden Tag aufs Neue. Das Spiel wirft uns ins kalte Wasser. Wir betrachten unsere Zuflucht im Querschnitt, sehen hie und da Symbole mit denen unsere Charaktere interagieren können um beispielsweise Schutthaufen zu beseitigen, Schränke auf verwendbare Gegenstände zu durchsuchen oder etwa die Werkbank zu benutzen. Während wir nachts die ausgebombte Stadt auf der Suche nach Ressourcen durchstreifen und Wachen aufstellen, um im Gegenzug andere Plünderer von unserem Unterschlupf fernzuhalten (dazu später mehr), kümmern wir uns tagsüber um das Management der Bedürfnisse unserer Überlebenden und den „Basenbau“.
Dabei erscheinen keine Dialogfenster, die uns begrüßen und uns erzählen, dass es jetzt irrsinnig freundlich von uns wäre ein Bett zu bauen oder eine Apparatur zu konstruieren, um Regenwasser aufzufangen. Von Beginn an müssen wir unsere eigenen Entscheidungen treffen und vor allen Dingen Prioritäten setzen: Sollten ich meinen Fokus darauf setzen, behelfsmäßige Waffen zu bauen oder lieber meine Medikamentenversorgung sicherstellen? Und was passiert, wenn der drohende Winter anbricht? So lernen wir ständig hinzu und finden uns immer besser mit dem Crafting und den, zugegebenermaßen simplen, Rohstoffketten im Spiel zurecht – bis plötzlich alles den Bach runtergeht.
Der Krieg ist einfach nicht fair
Denn im Krieg ist nichts vorhersehbar. Hin und wieder hatte ich im Test das Gefühl, die Situation endlich unter Kontrolle zu haben. Ich entwarf im Kopf einen Plan für die nächsten drei Tage und Nächte; den Hausbewohnern ging es den Umständen entsprechend gut. Ich hatte für die nächsten zwei Tage Nahrung herangeschafft und wollte die Gelegenheit nutzen endlich meine Warenketten in Schwung zu bringen: Mithilfe von Zucker und Wasser lässt sich Schnaps brennen, der nicht nur ein begehrtes Tauschobjekt auf dem Schwarzmarkt ist, sondern auch traurige Charaktere ihre Sorgen erst einmal vergessen lassen. Ich wurde gierig, ließ die Wachen für einen Abend etwas unterbesetzt und prompt kamen über Nacht Banditen, plünderten meine Speisekammer und ließen meine Leute schwer verletzt zurück – Plan über den Haufen geworfen, nacktes Überleben wieder Priorität Nummer 1.
Denn in der Nacht drohen Gefahren. Das eigene Versteck will geschützt werden, gleichzeitig möchte man gerade Verletzten oder Kranken Schlaf gönnen. Zudem ist nachts auch die Zeit selber auszuziehen, um dringend benötigte Ressourcen zu sammeln. Um mit meinen angeschlagenen Leuten doch noch zu überleben sah ich mich gezwungen, ein älteres Pärchen in der Nacht auszurauben obwohl sie mich anflehten, ihnen ihr Hab und Gut zu lassen. Mein Plünderer kam von diesem Erlebnis depressiv verstimmt zurück und hätte jetzt einen Schluck Selbstgebrannten vertragen können, aber.. ach, hätte ich doch nur von Anfang an für vernünftige Bewaffnung gesorgt um Banditen abzuhalten! Vielleicht hätte alles anders kommen können… und wer weiß, was für Folgen mein rücksichtsloses Vorgehen noch haben wird, falls ich das Pärchen noch einmal besuche..
Ich lernte aber auch: Es hätte schon geholfen, einen anderen Überlebenden auf den nächtlichen Raubzug zu schicken. Jeder der Charaktere hat andere Wesenszüge. Die von mir Ausgesandte konnte die Ungerechtigkeit gegenüber den älteren Herrschaften nicht ertragen – Andere hätten die Plünderung als gesunden Egoismus mit sich selbst vereinbaren können. Davon abgesehen besitzen sie auch noch individuelle Fähigkeiten. Die Eine ist besonders gut im Feilschen mit NPCs, der Andere ist ein sehr guter Koch und benötigt am improvisierten Herd weniger Rohstoffe, um ein sättigendes Essen zu zaubern und so weiter.
Durch die Augen eines Kindes
Hinzu kommen natürlich noch die namensgebenden „Little Ones“, also die Kinder. Als ob die Stimmung durch das atmosphärische Artwork und den melancholischen, aber sehr guten Soundtrack nicht schon dicht genug wäre, wird die banale und dumme Grausamkeit des Krieges durch die Perspektive der Kinder noch verstärkt. Sie stellen für die Erwachsenen unbequeme Fragen und verstärken den Beschützerinstinkt des Spielers. Wer ein kleines Mädchen daheim sitzen hat, dem er gerade erst ein altes Spielzeug repariert hat, damit sie ein wenig fröhlicher wird, wird den Teufel tun seine Basis unbewacht zu lassen – selbst wenn es gerade nicht viel zu holen gibt.
Spielerisch werden die Kinder so eingebaut, dass sie zwar weniger Nahrung benötigen als die Erwachsenen, dafür aber auch ein labileres Gemüt besitzen, sodass man ab und an mit ihnen spielen oder reden sollte – auch wenn das bedeutet Fragen beantworten zu müssen wie: „Werden die Bomben auch von Menschen gebaut?“. Lassen wir den Nachwuchs darüber hinaus bei Tätigkeiten wie z.B. Kochen zuschauen, können sie sich diese Spezialfähigkeiten von den Erwachsenen abschauen.
Eine alternative Art des Spielens
Wenn man This War of Mine als reines Videospiel bewertet, kommt man um den ein oder anderen Kritikpunkt nicht herum. Die Steuerung ist immer mal wieder hakelig und gerade zu Beginn können Leitern und Treppen ein steter Quell des Ärgers sein. Auch die Handhabe in den manchmal unvermeidbaren Kämpfen mit anderen Überlebenden des Krieges ist mitunter eine Pein. Außerdem vermissen wir eine Funktion zum Vorspulen der Zeit, wenn wir etwa unseren Leuten beim Buddeln ohne Schaufel zuschauen oder ein paar Minuten darauf warten müssen, bis endlich der vermaledeite Schnaps fertiggebrannt ist.
Dieses Spiel wird nicht für Jeden etwas sein. Es wird Leute geben, die sagen, dass es ihnen einfach keinen Spaß macht einer Gruppe Leuten zusehen zu müssen, denen es laufend schlechter geht, die sich mit Gewissensbissen plagen und an Hunger leiden. Eine absolut nachvollziehbare Meinung, wenn man Videospiele so begreift, dass sie einfach Spaß machen sollen –
völlig legitime Ansicht! Diese Spieler werden sich an den angesprochenen Steuerungsmängeln stören, fehlende Komfortfunktionen und Tutorials bemängeln und verärgert sein, wenn ein Zufallsereignis die gesamte Planung für den Basenbau über den Haufen wirft.
Wenn man dafür offen ist, kann This War of Mine jedoch ein sehr gutes Beispiel dafür sein, dass Videospiele durch die Interaktion von Medium und Spieler tolle Möglichkeiten in der Narrative besitzen. Die äußerst gelungene audiovisuelle Präsentation des Spiels ist das Eine – hier kann man mit dem Medium Film nur schwer gleichziehen. This War of Mine überträgt den Faktor der Hoffnung für die Protagonisten, die Verantwortung für die Charaktere, mit denen man schon schnell eine Bindung eingeht jedoch an den Spieler, und das kann eben nur ein Spiel. Ich kann also nur jedem raten, wenigstens einmal Probe zu spielen und sich der Atmosphäre auszuliefern.
Fazit:
This War of Mine: The Little Ones ist ein Antikriegsspiel geworden, das diese Genrebezeichnung absolut verdient. Geschickt wird mit den Möglichkeiten der Gameplay-Mechaniken gespielt, um jemandem, der bequem daheim auf seiner Couch sitzt zu zeigen, dass Krieg nichts ist, aus dem man wirklich siegreich hervorgehen kann. So bekommt man vielleicht keinen unschuldigen Spielspaß, fühlt sich aber gefordert, ist investiert in das Schicksal der Protagonisten und ist motiviert so lange zu spielen, bis man seine Truppe endlich einmal vollzählig durch den Krieg gebracht hat. Den Spieler erwarten eine dichte und bedrückende Atmosphäre – ein Kunststück, das die Entwickler schaffen ohne explizit Kriegshandlungen zeigen zu müssen.
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