Ein Hype, der deinen Namen trägt

Wow, Fallout 4.. In diesem Jahr gab es kein Spiel, das mich so sehr gehyped hat wie das postapokalyptische Rollenspiel aus dem Hause Bethesda. Klar, vom Witcher wusste ich auch, dass er eine Wucht wird. Jedoch hatte ich im Vorfeld keine echte Beziehung zu der Serie. Umso begeisterter war ich dann am Ende vom Spiel und habe es im Review über den grünen Klee hinweg gelobt.

Bei Fallout 4 verhielt sich die Sache ein wenig anders. Fallout 3 gehört ohne Wenn und Aber zu meinen Top 10-Videospielen aller Zeiten, sowohl was Qualität als auch Quantität der Spielstunden betrifft. Man, habe ich viel Zeit im Wasteland verbracht – immer auf der Suche nach den kleinen Geschichten und großen magischen Momenten.

Auch mit Fallout 4 habe ich jetzt viel Zeit verbracht. Mittlerweile seid ihr alle bestens informiert und die Faktenlage um Story und Gameplay habt ihr schon zu Genüge gelesen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle eher meinen ganz persönlichen Eindruck mit euch teilen, ohne etwa die vier Fraktionen im Spiel zu erläutern oder das Crafting-System im Detail zu beschreiben. Ein kleines Experiment wenn ihr so wollt.

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Die Atmosphäre des Ödlandes ist gewohnt ausgezeichnet

Die Weichen werden gestellt

Der Anfang von Fallout 3 gehört zu den wohl besten Einstiegen in ein Rollenspiel der Geschichte. Große Fußstapfen also für den vierten Teil der Serie und vielleicht nahm Bethesda deswegen noch vor Release ein bisschen Dampf vom Kessel der Erwartungen indem man den Einstieg bereits vorher der Öffentlichkeit präsentierte. Dieser ist und bleibt jedoch genial: Wir erleben ein letztes bisschen Idylle im amerikanischen Suburb-Flair bevor die Apokalypse beginnt und wir mit unserer kleinen Familie zum rettenden Vault stürzen. Ich persönlich hätte diesen Abschnitt gerne noch ein bisschen länger gehabt. Um noch einmal den Vergleich zu Fallout 3 zu bemühen: Nach dem Prolog des Vorgängers hatte ich dort bereits eine starke emotionale Beziehung zum Vater meines Charakters aufgebaut und als er dann aus dem Vault verschwand, wollte ich nichts lieber als ihn finden und herausfinden, was in der Welt falsch läuft. Ich wusste, hier muss was Großes im Gange sein, sonst hätte er mich nicht verlassen.

Wie gesagt, Fallout 4 wählt ebenfalls einen glänzenden Einstieg. Aber ein bisschen mehr Fundament für die Liebe zu meiner Familie hätte ich mir dennoch gewünscht. Vielleicht so ähnlich wie Heavy Rain es damals tat: Ein bisschen mehr vom Alltag der glücklichen Familie zeigen vor dem Hintergrund, dass uns Spielern nur allzu bewusst ist, dass wir bald einen heftigen Schlag in die Magengrube erhalten werden.

Die Kritik am Anfang des Spiels mag für Manche kleinkariert klingen aber er steht für eine grundsätzliche Ausrichtung des Spiels. Denn, soviel Spoiler darf erlaubt sein, noch in der ersten Spielstunde wird unser Sohn entführt und unser zentrales Motiv für die nächsten Spielstunden ist es, ihm hinterher zu jagen. In der Selbstbeobachtung fiel mir dabei auf, dass mir das Schicksal des kleinen Shawn erschreckend egal ist. Während ich bei Fallout 3 einen erwachsenen Mann lieber jetzt als gleich finden wollte, stand mein kleines Baby auf der Prioritätenliste direkt hinter „Ein Gemüsebeet für namenlose Siedler anlegen“.

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Was für eine bescheidene Art den Tag zu beginnen…

Der Weg als Ziel

Tatsächlich macht Fallout 4 dies durchaus bewusst so. Der Titel setzt nicht auf die eine, große und epische Erzählung (auch wenn die Mainquest sehr wohl erzählerische Highlights hat!). Die große Stärke des Titels ist es in meinen Augen, dass man ihn Anderen kaum spoilern kann. Jeder, der in die Welt von Fallout 4 einsteigt, erlebt seine ganz eigene Geschichte, deren erzählerische Mittel nicht wie beim Witcher in tollen Dialogen und überragendem Charakterdesign bestehen, sondern im Erkunden der Welt. Titelsong ist nicht umsonst „The Wanderer“. Ihr streift durchs Ödland, werdet neugierig warum ein Leuchtturm immer noch Strom hat oder warum ein Irrenhaus von waffenstarrenden Banditen bewacht wird und macht euch dann daran, euch eure eigenen Fragen zu beantworten. Nur so funktioniert Fallout; durch das Interesse der Welt und die Lust, die eigene Neugier zu befriedigen und dafür auch mal den E-Mail-Verkehr der Angestellten eines Supermarktes zu lesen. Dieses „Environmental Storytelling“ beherrscht Fallout 4 so gut wie wenig andere Spiele und schafft es, in den scheinbar „bedeutungslosen“ Hintergrundinformationen Details zu verstecken, die zu neuen Quests oder geheimen Truhen führen können. Gleich zu Beginn des Spiels lesen wir im Tagebuch eines Drogendealers, dass er zu gerne wissen würde, was die Nachbarn mit dem Hund in ihrem versteckten Safe so bunkern. Sofort macht der Spieler sich auf die Suche nach einem Grundstück mit Hundehütte und stellt die Bude auf den Kopf – klasse!

Dennoch muss man für diese Art des Storytellings der richtige Typ Spieler sein. Während The Witcher 3 mir kaum eine Wahl ließ als dranzubleiben, weil mich die Charaktere und die Geschichten, selbst in den Nebenquests, einfingen, lässt mich Fallout 4 immer wieder vom Haken und ich kann mich entscheiden, ob ich erneut zubeißen möchte oder nicht.

Mir fehlt einfach ein bisschen Salz!

Das war auch in Fallout 3 so, nachdem der erste Drive meinen Paps zu finden abgeflaut war. Für meinen Geschmack hat Fallout 4 jedoch, auch im Vergleich zum Vorgänger, zu wenig fette Köder in Form von denkwürdigen Begegnungen oder interessanten Protagonisten am Start, um mich endgültig zu begeistern. Das liegt zum Teil auch am abgespeckten Dialogsystem. Ich habe die Unterhaltungen in Fallout 3 geliebt und mochte es auch, mir alle Antwortalternativen durchzulesen und ob deren Witz zu schmunzeln bevor ich mich für eine entschied – auch wenn ich dafür auf eine Sprachausgabe meines Alter Egos verzichten musste. Der vierte Teil geht eher den Mass Effect-Weg. Wir bekommen vier Antworten vorgesetzt, zwischen denen wir uns entscheiden müssen. Diese sind jedoch nicht mehr ausformuliert, sondern in Stichworten zusammengerafft. Meistens lassen sie sich beschreiben mit „OK“, „Vergiss es“ „Später vielleicht“ und „Sarkastische Antwort“. Das reicht mir im Fallout-Universum einfach nicht und verschlankt einen Teil am Körper der Reihe, den ich lieber üppig habe: Die Interaktion mit den Figuren der Spielewelt. Für mich ein echtes Manko, das das Spiel zwar nicht völlig egalisieren aber an anderer Stelle zumindest etwas ausgleichen kann: Nicht ganz zufällig habe ich meine größte Bindung im Spiel mit dem Schäferhund Dogmeat. Wenn ich mit ihm gemeinsam durch Häuserschluchten streife, die magische Stunde des Tag-Nacht-Zyklus einsetzt und die ganze Welt in rötliches Licht getaucht ist, dann liebe ich Fallout 4. Naturgemäß gibt es keine großen Unterhaltungen zwischen uns, aber das Feeling stimmt einfach. Diese Momente sind nicht geskriptet aber gewollt und bilden das atmosphärische Rückgrat von Fallout 4. Ich glaube, so sehr ich das Gebotene auch mag, habe i
ch immer das Gefühl, dass mir etwas fehlt.

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Schicksalshafter Showdown mit einer Todeskralle

Über die weiteren Stunden hinweg, erhärtete sich mein Eindruck, dass es sich bei Fallout 4 zwar definitiv um ein tolles Spiel handelt, es sich jedoch von mir als „Spielerpersönlichkeit“ wegentwickelt hat. Wer durch das Internet streift, liest überall, wie großartig doch das Crafting-System gelungen ist. In diese Jubelstürme kann ich zum Teil mit einstimmen. Ich finde es einen guten und richtigen Schritt, dass selbst in einem profanen Gegenstand wie einem Tischventilator Teile stecken, die beim Herumbasteln an den eigenen Waffen weiterhelfen können. Das hat wirklich etwas von Endzeit: Wenn das Leben dir Aludosen schenkt, mach ein Visier draus. Dass der Name der Waffe durch die vielen Modifikationen irgendwann absolut unkenntlich gemacht wird und ich sie manuell umbenennen muss, um sie noch identifizieren können: Geschenkt!

Ich mag dich, aber nur als Freund…

Wo das Spiel einen Abzweig in eine Richtung nimmt, in der ich ihm nicht folgen kann ist beim Basenbau. Schon sehr früh wird uns die Möglichkeit offenbart, unsere eigene Siedlung mit Häusern, Zäunen, Elektrik, Nahrung und Verteidigungsstellungen so zu gestalten, wie wir es wünschen. Die praktischen Vorteile beim liebevollen Designen gehen dabei gegen Null und so sehr ich in der Fallout-Reihe einen sicheren Rückzugspunkt zu schätzen weiß – diese Editor-Mentalität geht mir einfach ab, da fehlt mir das Minecraft-Gen. Es gibt Viele, denen diese Möglichkeit richtig gut gefällt und auch in der eigenen Redaktion haben wir hier Spezialisten, die alle Quests stehen und liegen lassen und sich nur dem Bau der eigenen Siedlung verschreiben. In meinem persönlichen Empfinden geht das am meinem Begriff des Rollenspiels vorbei – aber gut, ist eben nicht für mich gemacht und schadet ja auch niemanden. Vielleicht hätte ich mich auch mehr dem Bauen verschreiben können, wenn mich das Spiel hier mehr abgeholt hätte oder andersrum: Mir nicht das Gefühl gegeben hätte, dass es nichtig ist, was ich mit meiner Basis mache. Nicht nur gibt es wenig Anreiz außerhalb der Ästhetik an der Stadt herumzuschrauben, gefühlt alle 200 Meter gibt es die nächste potentielle Siedlung, an der ich herumbauen kann, was mir persönlich das Gefühl der Willkür vermittelt hat. Aber wie gesagt: Hobby-Ingenieure finden hier zahlreiche Bonus-Spielstunden.

Es ist also weniger die Existenz dieses Features, die mich stört (wie könnte sie auch) sondern das Gefühl, dass sich Fallout 4 in ein Spiel verwandelt, dass ich so nicht haben wollte. Es fing an mit der Story, geht über die Dialoge und die „Minecraft-Elemente“ und endet bei der Charakterentwicklung und dem Levelaufstieg. Generell finde ich, sind die Kämpfe denen aus Fallout 3 überlegen. Die Shooter-Mechanik ist um einiges verbessert worden, sodass es jetzt auch Spaß macht, sich außerhalb des V.A.T.S. zu bewegen und sich in Schießereien zu bewegen. Auch die Entscheidung, im V.A.T.S. die Zeit nicht komplett einfrieren, sondern in Zeitlupe ablaufen zu lassen, gefällt mir richtig gut. So haben wir Zeit, unsere nächsten Züge zu planen ohne jedoch die Dynamik aus der Situation zu nehmen. Stattdessen lassen wir den Gegner an uns herankommen und können dabei zusehen, wie sich unsere Trefferwahrscheinlichkeit nach und nach verbessert. Andersherum zögern wir vielleicht zu lange und der Feind schafft es in der Zwischenzeit, hinter eine Deckung zu kommen. So oder so macht es einfach Spaß, einen Headshot zu landen und sich das nicht zensierte und splatter-esque Ergebnis des Treffers anzusehen. Pamm.

So viel Spaß haben die Kämpfe in Fallout 3 nicht gemacht – was für mich jedoch dort ungemein belohnend war, war der Stufenaufstieg und die damit verbundene Auswahl an Perks und die Steigerung der Fähigkeiten wie Kleine Waffen oder Schlösserknacken von 0 – 100. Auch Fallout 4 arbeitet mit Perks, die an die Ausprägung unserer S.P.E.C.I.A.L.-Werte gebunden sind. Die Steigerung einzelner Fähigkeiten ist jedoch gestrichen worden. Um zum Beispiel Schlösser einer bestimmten Schwierigkeit zu öffnen, brauchen wir jetzt nicht mehr „Schlösserknacken 70“ sondern einen bestimmten Perk. Das fühlt sich für mich vercasualisiert an und war im Laufe des Spiels weniger motivierend als bei Fallout 3 oder New Vegas, wo ich es kaum erwarten konnte einen neuen Perk zu bekommen und immer die Qual der Wahl hatte. Fallout 4 serviert mir hingegen eher „Nice to have“-Varianten und beschneidet meine Freiheiten bei der Ausgestaltung meiner Fertigkeiten. Nicht in dramatischem Maße, aber doch so, dass ich bis zum Schluss nicht recht darüber hinwegkam. Ich alte Primel.

Abschließend – Meckern auf hohem Niveau:

Fallout 4 ist ohne Wenn und Aber ein ziemlich großartiges Spiel. Die Spielewelt erzählt durch die vielen Details im Design und in Zufallsbegegnungen stimmungsvolle und einzigartige Geschichten und man muss sich nicht wundern, wenn man am Ende um die Hundert Stunden Spielzeit auf der Uhr hat und die Welt nur noch durch den grünlichen Schleier des V.A.T.S. wahrzunehmen vermag. Wer vom Schöpfer eine doppelte Dosis Erkundungsdrang und Abenteuerlust mitgegeben bekommen hat, wird seinen Platz in der endzeitlichen Welt finden und belohnt werden. Am Ende der Objektivität steht eine gute Wertung und deutlich mehr Pros als Contras.

Jedoch: Richtig warm geworden bin ich mit Fallout 4 am Ende jedoch nicht. Die Art wie beispielsweise The Witcher 3 es versteht Geschichten zu erzählen und den Spieler zu fesseln war beispiellos und zeigt Fallout die Grenzen auf. Hier hat die Mainquest spürbare Längen und die Nebenaufgaben wirken teilweise lieblos und repetitiv. Und auch mit den neuen Dialogen und der Charakterentwicklung hadere ich leider. Und so ist bei mir, trotz der zweifellos vorhandenen Stärken, der Funke einfach nicht nachhaltig übergesprungen.

[pricemesh]

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