27 Jahre. Kaum vorstellbar wie viel Zeit das ist. Man könnte in dieser Zeit nacheinander zwei Kinder jeweils auf Teenager-Alter bringen. Oder ein Kind zeugen, jedes Mal bei der Geburt abhauen und das gleiche woanders von vorne beginnen – 36 Mal.
Oder man macht es wie Brian Fargo. Dessen Lieblingskind hieß Wasteland, kam 1988 auf den Markt und war ein absoluter Kulthit. 26 geschlagene Jahre später erschien mit Wasteland 2 endlich der Nachfolger und nun, ein weiteres Jahr später, schaffte es der Director’s Cut auf die CurrentGen Konsolen. Kaum vorstellbar wie viel Zeit das ist.
Fresh Start
Zum Glück sind keine Kenntnisse über den Vorgänger nötig um bei Wasteland 2 durchzusteigen: Aus Gründen, die sich den Zeitgenossen schon längst nicht mehr erschließen, ist die Welt Opfer einer nuklearen Katastrophe geworden und nun ein einziges Ödland. In dieser weitgehend rechtsfreien Umgebung versuchen wir, die Desert Ranger, die Ordnung aufrecht zu erhalten und die Wüste zu einem etwas besseren Ort zu machen.
Wie es sich für ein westliches Rollenspiel gehört, beginnt man zunächst mit der Charaktererstellung. Ein vierköpfiges Team will hier zusammengestellt werden und offenbart sofort die große Stärke des Spiels. inXile Entertainment ist es gelungen, eine großartige Balance zwischen 29 Fertigkeiten zu schaffen. Man würde sie am liebsten alle beherrschen und selbst wenn wir uns keine Spezialisten sondern vier Multitalente bauen, kann nicht das ganze Fähigkeitsspektrum bedient werden.
Liebhaber von Charakterwerten und Skills werden hier entsprechend leidenschaftlich tüfteln bis sie ihren Wunschsquad erschaffen haben. Dabei sind alle Fertigkeitskombinationen denkbar: Ein keulenschwingender Chirurg? Kein Problem! Oder doch einen Hacker mit Pferdepflüsterer-Anleihen? Tut es!
Entscheidungen mit Gewicht
Eure Entscheidungen pro und contra Attributspunkten, Perks und Fähigkeiten werden niemals leichtfertig fallen und den Verlauf eures Abenteuers maßgeblich beeinflussen. Und selbst wenn ihr euch zähneknirschend gegen das Talent „Tresor knacken“ entschieden habt, werdet ihr spätestens beim ersten verschlossenen Safe, der nicht durch Gewalt zu öffnen ist, ins Grübeln kommen.
Doch auch in der Hauptstory werdet ihr mit Dilemmas konfrontiert, die sich nicht einfach lösen lassen. Gleich zu Anfang des Spiels erreichen uns gleichzeitig Hilferufe aus der Stadt Highpool und dem Agrar-Forschungszentrum. Beide benötigen schnell und dringend Hilfe und wir müssen entscheiden, wen wir zuerst retten wollen. An dieser Stelle möchte ich nicht zu viel verraten, aber ihr werdet euch für eure Entscheidung wahrscheinlich verfluchen und in Gedanken schon den zweiten Playthrough planen.
Hürden die übersprungen werden wollen
Leider bewegt sich Wasteland 2 etwas schwerfällig durch die Geschichte und benötigt erst einmal eine gewisse Anlaufzeit bis die Kampagne auf Touren kommt. Und so kann der Einstieg für manche Spieler durchaus abschreckend wirken. Vom Charaktermenü erschlagen und von der Story zunächst einmal nicht gepackt, wird es sicherlich Leute geben, die abgeschreckt nicht weiter spielen werden. Seitenweise gut geschriebene Dialoge, die sich durch eine tolle Balance aus schwarzem Humor und düsterer Endzeitstimmung auszeichnen sind eine großartige Sache – Schade nur, wenn sie sich hinter mausgrauer Optik und einer ganzer Menge Texttafeln verstecken. Denn trotz des Grafikupgrades ist Wasteland 2 immer noch weit davon entfernt ein schönes Spiel zu sein.
Die Feder ist mächtiger als das Schwert
Denn leider ist die Action in Wasteland 2 ausbaufähig. Die rundenbasierten Kämpfe sind ohne Frage fordernd und machen in den ersten Stunden auch viel Spaß. Es kommt auf die richtige Positionierung, Waffenwahl und Nutzung der Fähigkeiten an, wenn wir auch auf höheren Schwierigkeitsgraden nicht in das längst verdorrte Gras beißen wollen. Überraschenderweise kommt hier nach einer zweistelligen Anzahl von Spielstunden aber etwas Eintönigkeit ins Spiel. So gut die Charakterentwicklung auch gemacht wurde – im Kampf selber gibt es kaum Progression und so ist der Spielstil eines Level 2 Snipers nicht großartig unterschiedlich von einem auf Level 20 – vom deutlich erhöhten Schaden einmal abgesehen. Hier hätten wir uns eine motivierende Form der Kampftalententwicklung gewünscht.
Das macht die Kämpfe aber mitnichten einfach. Konzentration ist zu allen Zeiten gefordert denn das Ödland ist ein unbarmherziger Ort. Sterben eure Charaktere und es ist kein Chirurg zugegen mit dem richtigen Equipment, steht derjenige nicht wieder auf – Permadeath ist das Stichwort. Dadurch verlieren die Kämpfe zwar an Abwechslung aber niemals an Spannung.
Fazit:
Wasteland 2 ist ein Spiel, das ich einfach nur lieben und loben möchte. Die Atmosphäre des Titels und die gut geschriebenen Dialoge sind für mich ebenso große Klasse wie das komplexe aber nicht überladene System der Charaktergestaltung. Mit der objektiven Sichtweise eines Redakteurs muss ich aber leider feststellen, dass es gerade jüngeren Spielern schwerfallen könnte sich auf den Anachronismus der Texttafeln und Tüftelei an den Avataren einzulassen. Hinzu kommt das Kampfsystem, das zwar fordernd ist, nach einigen Stunden jedoch spürbar an Reiz und Abwechslung einbüßt.
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