Alle Jahre wieder beglückt EA Sports uns Fußballenthusiasten mit einem neuen FIFA. Und jedes Mal fragt man sich unwillkürlich selbst, ob man erneut 50+ Euro berappen möchte oder man doch noch mit dem Vorjahresmodell leben kann. Der Test versucht bei dieser Frage zu helfen.
Die Hassliebe
Stellen wir uns einen Fußballfan vor, der noch nie einen FIFA-Teil angefasst hat und sich beim bekanntesten Online-Versand des Internets die Kundenrezensionen anschaut. Er, nennen wir ihn Leo, wäre wohl zunächst enttäuscht. Die hier getestete PlayStation 4-Version von FIFA 16 wird dort mit drei von fünf Sternen geführt, einer 6/10 wenn man so will und damit ziemlicher Durchschnitt. Gewieft wie Leo ist, achtet er dabei aber zusätzlich noch auf die Anzahl der abgegebenen Rezensionen: Über 450 innerhalb von 2 Wochen. Ein kurzer Abstecher zu Witcher 3 zeigt an, dass das bereits seit einem halben Jahr erhältliche Hype-Spiel zwar mit viereinhalb Sternen (9/10) wesentlich besser besprochen wurde, aber mit etwa 470 Kritiken von etwa gleich vielen Spielern.
Damit ist unser Leo auf eine der interessantesten Phänomene unserer Gamerzeit gestoßen. FIFA schafft es so meisterhaft wie kaum ein anderer Titel in den Bewertungen zu polarisieren. Jeder hat etwas zum neuen FIFA zu sagen. Und obwohl der Mittelwert der Rezensionen bei drei Sternen liegt, gibt es kaum Spieler, die diese Durchschnittsbewertung vergeben – das tun nur etwa 6% der Kritiker. Nein, FIFA akkumuliert in gleichem Maße Lobeshymnen wie Verrisse. Aber woran liegt das?
Welche Art Spieler bist du?
Der springende Punkt bei dem Flaggschiff der Fußballspiele ist, dass so viele unterschiedliche Typen von Spielern hier zugreifen. Jeder jedoch andere Anforderungen an das Spiel hat und es deswegen unterschiedlich bewertet.
Der Einsteiger
Anfänger wie eben Leo erfreuen sich bei FIFA 16 an einigen Neuerungen wie dem FIFA-Trainer, der während des laufenden Spiels auf Gameplay-Optionen hinweist mit dem Ziel, den Spieler laufend zu verbessern. Auch wenn Serienveteranen diesen schneller deaktiviert haben werden als man „Drücken Sie X zum Passen“ sagen kann, ist er Einsteigern willkommen, denn sowohl in der Defensive als auch in der Offensive ist das komplette Gamepad (mehrfach) belegt und so tastet man sich langsam an das Füllhorn der Möglichkeiten heran. Irgendwann beherrscht man so den hohen Pass in den Lauf, die scharfe flache Hereingabe, den Flügelwechsel und das Marseille-Roulette. Abgerundet von den Skill-Spielen, die vor jeder Partie die Ladezeiten versüßen sollen, erhält man so einen fundierten Start ins Universum der Fußball-Simulationen.
Dazu kommt die Möglichkeit erstmals die Frauennationalmannschaften ins Feld zu führen. Zwar fehlen hier noch wichtige Auswahlen wie beispielsweise Japan und Norwegen, durch die Implementierung hat man jedoch einen wichtigen (PR-) Schritt gemacht. Es ist bestimmt nicht schlecht für die Absatzzahlen gewesen, dass die USA in diesem Jahr Weltmeisterinnen geworden sind. Das Team stand auch als Motion Capturing-Vorlage zur Verfügung und verleiht den Damen ein authentisches „Look&Feel“ auf dem Platz.
Der (Online)-Veteran
Der passionierte FIFA-Veteran ist von angekündigten Neuerungen hingegen nicht wirklich weggeblasen worden. Die verbesserte Präsentation des Spiels, die den Titel immer stärker an eine Sky-Fußballübertragung angleicht, nimmt er zwar beifällig grunzend zur Kenntnis, am liebsten hätte er es jedoch, wenn man den ganzen Schnickschnack ausstellen könnte. Wer pro Tag zehn bis zwanzig Partien spielt, kann irgendwann die Allianz-Arena von außen nicht mehr sehen, egal wie hübsch sie nachgebaut worden ist. Schön jedoch ist, dass es bei Bundesligabegegnungen nun die Original-Bildschirmanzeigen aus dem TV zu sehen gibt und dass Manni Breuckmann von Wolff Fuss ersetzt wurde. Qualitativ wird der Kommentar dadurch zwar nicht in neue Sphären gehoben, jedoch gilt in dieser Hinsicht das Motto: „Neu ist immer besser!“ Das alte Duo konnte man sich als langjähriger Fan einfach nicht mehr anhören.
Die Neuerungen, die den Vielspieler interessieren sind die im Gameplay und das wirkt nun ausbalancierter als im Vorgänger. Dieser Eindruck rührt vor allem von der besseren Defensive her, die ein saubereres Stellungsspiel an den Tag legt und nicht mehr hoffnungslos überfordert ist gegen schnelle wendige Stürmer. Diese können die Verteidigerhünen im Sprintduell zwar immer noch schlagen, aber nicht mehr ohne weiteres körperlos überlaufen.
Die Angreifer ihrerseits haben ebenfalls einen neuen Trick dazugelernt. Hinter dem Fancy-PR-Begriff „No Touch Dribbling“ verborgen, beherrschen die Spieler nun Finten und Körpertäuschungen, um die Defensive auch aus vollem Lauf heraus aussteigen zu lassen. Was nach einer geringfügigen Anpassung klingt, ist für Profis ein echter Gamechanger und wird viel genutzt werden.
Der alljährliche Gelegenheitsspieler
Wer sich durch die anfänglich erwähnten Rezensionen forstet, mag den Eindruck teilen, dass es vor allem dieser Typus an Spieler ist, der am liebsten Null Sterne vergeben würde. Das dicke und mehr als befriedigende Lizenzpaket, das EA Jahr für Jahr schnürt ist Köder genug sich das Spiel jedes Jahr aufs Neue zu kaufen. Dann sind die ersten Matches gemacht und man ist enttäuscht, weil die versprochenen Innovationen doch gar nicht so weitreichend sind und sich hinter Losungen wie „Clinical Finishing“, „Dynamic Crossing“ und „Interception Intelligence“ keine von Grund auf neuen Konzepte verbergen sondern eben „nur“ das Bestreben von EA Sports ausdrücken, ihr Spiel jedes Jahr einen Tick besser zu machen.
Wer also nicht zum ersten Mal spielt oder eben nicht die Zeit und die Muße hat in mehreren Hundert Spielen die durchaus vorhandenen Unterschiede im Spielgefühl herauszuarbeiten, für den sind die neuen Features womöglich nicht stark genug um einen Neukauf zu rechtfertigen. Die Anpassungen im Karrieremodus sind tatsächlich nur geringfügig. In Minispielen können nun während der Saison Einzelspieler trainiert werden. Langfristig führt dies zu einem besseren Wachstum der Spieler und hilft Talenten zu einer schnelleren Leistungsexplosion. Außerdem können wir in Vorbereitungsturnieren antreten, um vor der Saison noch etwas unser Budget aufzustocken. Sinnvolle Maßnahmen zwar, das Kerngeschäft ist jedoch das gleiche wie in Fifa 15 und 16.
Ähnliches gilt für den kontroversen Modus Fifa Ultimate Team. Die 5-Sterne Kritiker loben das süchtigmachende Spielprinzip und die neue Möglichkeit, Topspieler zu draften bzw. auszuleihen, um schneller an die S
uperstars heranzukommen – wenn auch nur vorübergehend. Die 1-Sterne Verreißer hingegen weisen darauf hin, dass hinter dieser Neuerung der Wunsch von EA steht, die Spieler zu mehr Mikrotransaktionen zu verleiten. Um ein Topteam vier Spiele zu unterhalten, brauch es 15.000 Münzen (Ingame-Währung) oder eben 3 Euro echtes Geld. Klar, dass sich auch hier die Geister scheiden werden.
Fazit:
FIFA ist mittlerweile so populär und wird so viel gespielt, dass sich bestimmte Klassen an Spielern gebildet haben, die allesamt unterschiedliche Dinge von FIFA 16 erwarten. Je nachdem, welchem Lager man angehört, wird man entweder die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten zum Vorgänger betonen und bewerten.
Unternimmt man nun den Versuch, das Spiel objektiv zu bewerten, muss man zu dem Punkt kommen, dass FIFA 16, wie auch sein Vorgänger, ein gutes Fußballspiel ist. Die unerreichbar üppige Lizenzvielfalt, die mustergültige Präsentation und das ausbalanciertere Gameplay sind Zutaten, die in ihrer Mixtur mehrere dutzend Stunden Spielspaß versprechen. Kaum eine andere Spielereihe lässt den Gamepad-Akrobaten so stark zwischen ausgelassenem Jubel, Resignation und kalter Wut hin- und herschwanken. Dafür lieben wir Fußball und dafür schätzen wir auch FIFA.
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